Eintauchen in die Bücherwelt

admin | Posted 16/03/2008 | Preise und Events | Keine Kommentare »

Bettina Schulte

Geredet wird immer über Neuerscheinungen. Es lohnt sich, sie zu lesen.

Wir werden immer schneller. Wir müssen immer schneller werden. Mobilität und Multitasking sind gefordert: Entfernungen immer eiliger zu überwinden,immer mehr in immer weniger Zeit zu erledigen.

Das Lesen macht da nicht mit. Lesen ist eine langsame Tätigkeit. Lesen braucht Zeit. Wer sich entscheidet, ein Buch zu lesen, es richtig, es intensiv zu lesen, sich von ihm in seine je eigene Welt aus Sprache entführen zu lassen, der steigt für die Dauer seiner Lektüre aus den Zwängen des von Bilderfluten überschwemmten, von Waren- und Datenströmen durchkreuzten Alltags aus.

Das ist eine Chance. Lesen kann eine Alternative zu spirituellen oder meditativen Übungen sein. Lesen kann eine aufregende stationäre Reise sein. Lesen kann gelegentlich gefährlich
sein – für die, die sich um der Macht willen hinter Lügen verschanzen.

Sehr viel Zeit nimmt ein Buch für sich in Anspruch, über das in diesem Frühjahr viel diskutiert wird. 1.400 Seiten umfasst Jonathan Littells wahnwitziger Versuch, die Wahrheit über den Nationalsozialismus mit den Mitteln der Literatur herauszufinden, in der deutschen Übersetzung.

“Ich sage euch, Menschenbrüder, wie es wirklich gewesen ist.” Mit einem so maßlosen Satz beginnt dieser auch im Titel (“Die Wohlgesinnten”) an der antiken Orestie orientierte Roman, von dem in Frankreich 800.000 Exemplare verkauft wurden.

Man wird sehen, wie dieses Buch eines jüdischen, in Frankreich aufgewachsenen Amerikaners, das es zum ersten Mal wagt, sich die Perspektive eines Täters, eines gebildeten, homosexuellen SS-Offiziers, zu eigen zu machen, im Land der Täter aufgefasst wird.

Wer aber wird sich auch wirklich die Zeit nehmen, dieses Buch zu lesen – und nicht nur, wie in unserer Mediendemokratie üblich, einfach irgendwie mitreden?

Vielleicht aber möchte man auch lieber zu anderen Büchern greifen – die Auswahl ist nicht eben klein. Immer noch und immer wieder melden sich die großen alten Männer zu Wort: Martin Walser hat – wohl auch in eigener Sache – einen Roman über die letzte Leidenschaft des alten Goethe geschrieben, Philip Roth trägt in “Exit Ghost” nach 33 Jahren und neun Romanen endlich sein Alter Ego Nathan Zuckerman zu Grabe, Hans Magnus Enzensberger hat sich in einer spannenden Mischung aus Fakten und Fiktion dem deutschen General Hammerstein genähert, der Hitler die Gefolgschaft verweigerte – auch dies ein Beitrag zur deutschen Geschichte, die uns nicht loslassen will.

Und Peter Handke, der eben 65 geworden ist, kündigt in “Die Morawische Nacht” seinen langsamen Abschied vom Schreiben an.

Hinter solchen (männlichen) Schwergewichten macht sich die jüngere Generation einigermaßen dünn. Michael Kumpfmüller (“Nachricht an alle”) und Marcel Beyer (“Kaltenburg”) legen neue Romane vor, auf die man gespannt sein darf. Clemens Meyer ist mit seinem Erzählungsband “Die Nacht, die Lichter” für den Leipziger Buchpreis nominiert – ebenso wie Feridun Zaimoglu mit “Liebesbrand”.

Und die Autorinnen? Da sieht es noch magerer aus. Jenny Erpenbeck steht mit ihrem gleich auch für den Preis der Leipziger Buchmesse vorgeschlagenen Roman “Heimsuchung” ziemlich allein auf weiter Flur. Nein, es ist nicht der Frühling der Schriftstellerinnen.

Wenig Verstärkung kommt auch aus dem Ausland: Siri Hustvedt aus Amerika und Yasmina Reza aus Frankreich. Wobei Debütantinnen wie Charlotte Roche (“Feuchtgebiete”) immer für eine Überraschung gut sind.

Der Markt, das wissen wir, ist schnelllebig.

Im Herbst kann alles schon wieder ganz anders aussehen.

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