Europäer, Patriot, Pazifist
admin | Posted 06/03/2008 | Biografien | Keine Kommentare »
Das kann man schon als kleinen Kessler-Boom bezeichnen. Nur drei Jahre nach Laird M. Eastons "Der rote Graf" trumpft nun Friedrich Rothe mit einer neuen Biographie über Harry Graf Kessler auf.
Geboren in Paris, aufgewachsen in Ascot, den USA, wiederum Paris und schließlich Hamburg, Sohn einer Familie, die gründerzeitlichen Neureichtum mit altem Adel paarte – Harry Graf Kessler zählt sicherlich zu den schillerndsten Figuren auf der kulturellen wie politischen Bühne der Belle Epoque und der folgenden Jahre der Weimarer Republik.
In den diplomatischen Dienst zog es den feinsinnigen Dandy schon seit frühester Jugend, gebracht hat er es allerdings nur zum Deutschen Botschafter in Warschau – und das auch nur für kurze Zeit nach dem November 1918, einer Phase, in der Deutschland kopf- und ratlos zwischen Demokratie, Kommunismus und Nationalismus wankte. Vielmehr erinnert man sich an Kessler heute als dem friedensliebenden Vordenker der UNO, als Vermittler vor allem zwischen Frankreich, England und Deutschland. Kessler war für seine Epoche ein ungewöhnlicher Freigeist, der so gut wie jeden kannte, der zwischen 1880 und 1937, dem jahr seines Todes, etwas mit Kunst, Literatur, Architektur oder Politik zu tun hatte. Zu nennen seien hier nur Namen wie Jean Cocteau, Henry van de Velde, Josephine Baker oder G.B. Shaw.
Kesslers Wirken als Mäzen, Kunstsammler, Museumsdirektor und Literat dürfte heute nur wenigen Eingeweihten bewusst sein. Das wird sich sehr wahrscheinlich auch so bald nicht ändern. Das Verdienst von Friedrich Rothe ist es, nicht nur Kesslers Spuren zu folgen, sondern ihn als Chronist seiner Zeit zu begreifen. So ist ein starkes Stück Epochengeschichte entstanden – aufregend, kunstsinnig und spannend.
Friedrich Rothe: Harry Graf Kessler, Siedler, 350 Seiten, 22,95