Das neue gewichtige Werk des großen Unbekannten
admin | Posted 07/05/2008 | Belletristik | Keine Kommentare »
Die neue Geschichte des bedeutenden Vertreters der literarischen Postmoderne Thomas Pynchon ist auf imposanten 1760 Seiten zu lesen. Übersetzt wurde sie von Nikolaus Stingl und Dirk van Gunsteren.
Der Roman ist ein Panorama der Geschichte zwischen der Weltausstellung in Chicago 1893 und der Zeit kurz nach dem Ersten Weltkrieg, wobei er nicht in der uns bekannten Vergangenheit, sondern in einer leicht abweichenden Parallelwelt spielt.
Die Handlung erstreckt sich dabei über Nordamerika, Europa, Zentralasien und die Polargebiete und verfolgt die Lebenswege einer Vielzahl von Charakteren, unter denen sich keine eindeutigen Hauptfiguren ausmachen lassen.
Man kann das Werk sowohl als Geschichte einer Familie lesen, die den Mord an ihrem Vater rächen will als auch als Wissenschaftsgeschichte, als Fantasy- oder Science-Fiction-Abenteuer oder auch als politisches Manifest.
Historische Figuren wie Nikola Tesla, Erzherzog Franz Ferdinand oder Groucho Marx haben Cameo-Auftritte; eine große Menge realer historischer Ereignisse werden mit fiktiven Begebenheiten in einer Art und Weise vermischt, dass dem Leser die Unterscheidung ohne eigenen Rechercheaufwand nicht immer leicht fällt.
Stilistisch imitiert Pynchon dabei verschiedene literarische Genres aus der Zeit der Romanhandlung, etwa den Ton des Abenteuer- und Jugendromans à la Jules Verne, die frühe Science Fiction oder den Wildwestroman.
Typische fantastische Elemente dieser Genres wie Zeitreisen stehen dabei gleichberechtigt neben historisch verbürgten technischen Entwicklungen. Neben der Wissenschaftsgeschichte verfolgt der Roman auch die Kulturgeschichte, die Sozialgeschichte und die Geschichte der Mathematik der Epoche.
Pynchon ist am 8. Mai 1937 in Glen Cove auf Long Island geboren, das steht fest. Nach dem Erscheinen seines ersten Romans V. im Jahr 1963 schottete er sich allerdings völlig von der Öffentlichkeit ab und lebte fortan wohl an der amerikanischen Westküste.
Spätestens seit den 1990er Jahren wohnt er in Manhattan mit seiner Frau und Agentin Melanie Jackson und ihrem Sohn, Jackson Pynchon.
Pynchons Werk beschränkt sich auf sechs Romane und einige Kurzgeschichten in rund 40 Jahren. Seine Bücher zeichnen sich durch stilistische Virtuosität und enzyklopädische Informationsfülle aus.
Ein immer wiederkehrender Handlungsfaden Pynchons ist die Suche, wobei letztlich unklar bleibt, ob das Objekt der Suche überhaupt existiert oder nur Einbildung ist.
Auch zählen Todessehnsucht, Paranoia und Entropie zu häufigen Motiven in seinen Büchern.
Es kursieren nur einige über vierzig Jahre alte Fotos von Pynchon; zu sehen sind sie beispielsweise im Film A Journey Into The Mind Of [P.] (2001), der sein Leben und Werk thematisiert.
Thomas Pynchon um 1957
Das Rätsel um seine Person ist mittlerweile Bestandteil der amerikanischen Populärkultur. Jüngst hatte Pynchon Gastauftritte in drei Episoden der Simpsons (Diatribe of a Mad Housewife, All’s Fair in Oven War, Moe’N'a Lisa).
Gegen den Tag
1596 Seiten
Rowohlt, Reinbek 2008
ISBN 978-3-498-05306-2
Bisherige Werke:
· V. Rauch, Düsseldorf 1968, Rowohlt, Reinbek 1976, 1988. ISBN 3499137305
· Die Versteigerung von Nr. 49. Rowohlt, Reinbek 1973, 1988. ISBN 3499157179
· Die Enden der Parabel. Rowohlt, Reinbek 1981. ISBN 3499251124
· Spätzünder – Frühe Erzählungen. Rowohlt, Reinbek 1985, 1994. ISBN 3499134810
· Vineland. Rowohlt, Reinbek 1993. ISBN 3498052764
· Mason & Dixon. Rowohlt, Reinbek 1999. ISBN 3498052926