Wiederentdeckt: Annemarie Schwarzenbach
admin | Posted 19/05/2008 | Belletristik | Keine Kommentare »
Zum 100. Geburtstag dieser mutigen und engagierten Autorin erscheint einer ihrer persönlichsten Texte, das frühe Werk “Eine Frau zu sehen”.
Sie brach mit den Konventionen ihres millionenschweren Elternhauses, war bekennende Lesbe, Schriftstellerin, Reise- und Fotojournalistin. Ihr rastloses Leben und ihr früher Tod machten Annemarie Schwarzenbach zum Mythos.
Ihr 1971 geborener Grossneffe Alexis Schwarzenbach – der fürs Zürcher Literaturmuseum Strauhof eine phänomenale Schwarzenbach-Ausstellung eingerichtet hat – hat den Text im schweizerischen Literaturarchiv ausgegraben und nun sorgfältig ediert. Dort stellt sich eine Frau ihrer gleichgeschlechtlichen Leidenschaft.
St. Moritz, Weihnachten 1929: Im Fahrstuhl ihres Hotels trifft die junge Ich-Erzählerin auf eine geheimnisvolle Frau im weißen Mantel. Ihre Blicke begegnen sich, Sekunden nur, es fällt kein Wort, und doch: Dieser Moment verändert alles, weckt Hoffnungen und unstillbares Verlangen.
Inmitten des ausgelassenen Wintersporttreibens, umgeben von herausgeputzten Skifahrern, tanzenden Mädchen, werbenden Kavalieren und eifersüchtigen Freundinnen, wartet die junge Frau auf nur ein Wort, eine Geste der Angebeteten, um zu guter Letzt alle Warnungen in den Wind zu schlagen und allein ihrem Gefühl zu folgen.
Eine Frau zu sehen ist ein Text voller Begehren und knisternder Erotik. Annemarie Schwarzenbach, die elegante Millionärstochter in Männerkleidung, schrieb ihn mit gerade mal einundzwanzig Jahren. Er ist ihr Coming-out, mit dem sie sich ebenso entschieden wie mutig über die gesellschaftlichen Urteile und moralischen Schranken ihrer Zeit hinwegsetzte.
Mit “Eine Frau zu sehen” liegt nun das einzige literarische Werk von Annemarie Schwarzenbach vor, das in ihrer Schweizer Wahlheimat, dem Engadin, angesiedelt ist.
Annemarie Schwarzenbach wurde am 23. Mai 1908 als Kind einer Zürcher Industriellenfamilie geboren. Nach dem Studium in Zürich und in Paris, das sie mit der Promotion im Fach Geschichte abschloss, veröffentliche sie mit 23 Jahren ihren ersten Roman, Freunde um Bernhard. Von 1933 an unternahm die rastlose Schriftstellerin und Journalistin, die eine enge Freundschaft mit Klaus und Erika Mann verband, zahlreiche Reisen in ferne Länder. Sie starb 1942, geschwächt durch lange Jahre der Drogensucht, an den Folgen eines Fahrradunfalls.
pd
Die Ausstellung:
Die Ausstellung Eine Frau zu sehen ist ab 19. März bis 1. Juni im Museum Strauhof in Zürich zu sehen. Die Ausstellung wird ebenfalls in Berlin und München gezeigt werden.
Literaturhaus Berlin: Eröffnung: Freitag, 13. Juni 2008, 20 Uhr. Geöffnet 14. Juni bis 3. August 2008. Täglich, außer montags, 11 bis 19 Uhr.
Der Fernsehtipp:
22.05.2008 | 22:25 Uhr Schweizer Fernsehen, Aeschbacher
Alexis Schwarzenbach, ein Grossneffe von Annemarie Schwarzenbach, ist zu Gast bei Kurt Aeschbacher.
Er ist Herausgeber von Annemarie Schwarzenbachs Text Eine Frau zu sehen und Kurator der gleichnamigen Ausstellung, die vom 19. März bis 1. Juni im Strauhof in Zürich und danach in München und Berlin zu sehen sein wird.
Das Buch:
Annemarie Schwarzenbach
Eine Frau zu sehen
Mit einem Nachwort von Alexis Schwarzenbach
Coverfoto: Marianne Breslauer Archiv, Zürich
80 Seiten
ISBN 978-3-0369-5523-0