Aufbruch ins Unbekannte
admin | Posted 24/06/2008 | Autoren | Keine Kommentare »
Durch Afrika, Indien und durch arabische Länder ist Ilija Trojanow dem britischen Offizier Sir Richard Francis Burton hinterhergereist. Über ihn
hat er den Bestseller "Der Weltensammler" geschrieben.
Ilija Trojanow pendelt zwischen Heimaten auf drei Kontinenten. Und ist immer unterwegs zu neuen Ufern – reisend oder schreibend.
Seite 4 sprach mit ihm über sein nomadisches Leben.
“Mit sechs wurde ich ins Unverständliche geworfen. Seither versuche ich, mir einen Reim darauf zu machen”, schreibt Ilija Trojanow im Vorwort seines neuen Buches “Der entfesselte Globus”.
Damals, 1971, als er sechs Jahre alt war, flohen seine Eltern aus Sofia über Jugoslawien und Italien nach Deutschland. Schliesslich gingen sie nach Kenia, weil sein Vater dort Arbeit fand.
Nach langen Aufenthalten in Indien und Südafrika lebt Trojanow heute in Wien, pendelt aber zwischen seinen Heimaten Bulgarien, Deutschland, Südafrika und Indien.
Und er reist viel, um für seine Bücher zu recherchieren – und dann über das Fremde, das Unverständliche zu schreiben.
Nicht nur in einer Sprache: Prosa verfasst der gebürtige Bulgare auf Deutsch, Lyrik auf Englisch. Insbesondere Richard Burton ist er interhergereist, dem britischen Offizier, der im 19. Jahrhundert in Indien, Afrika und in arabischen Ländern lebte.
Den Menschen dort begegnete er nicht mit der üblichen Überheblichkeit der Kolonialherren. Burton wollte vielmehr ihre Kulturen, Religionen und Sprachen kennen lernen.
Über ihn schrieb Trojanow den Roman “Der Weltensammler”, der mit dem Deutschen Buchpreis 2006 ausgezeichnet wurde. Der Roman wurde zum Kultbuch und Bestseller: 400.000 Exemplare der deutschen Ausgabe sind verkauft, Übersetzungen gibt es bisher in 20 Sprachen.
Während der Recherchen über den Mann, der sich dem anderen, dem Fremden anzunähern suchte, ist Trojanow selbst nach Mekka gepilgert.
Auch über die Hadsch hat er ein Buch geschrieben: “Zu den heiligen Quellen des Islam”.
Er hat etliche Reisebücher verfasst und neben dem “Weltensammler” zwei weitere Romane: “Die Welt ist gross und Rettung lauert überall” und “Autopol”.
Bis zum Ende der Welt
Über seine Reisen, sein Unterwegssein und sein Schreiben, das er als den noch intensiveren Aufbruch ins Fremde, ins Unbekannte sieht, sprach Seite 4 mit Ilija Trojanow.
Wir hatten Glück und konnten ihn treffen, ohne den Kontinent wechseln zu müssen: in Stuttgart.
Herr Trojanow, welche Reisen haben Sie in diesem Jahr schon unternommen?
Ich wollte in Indien unterwegs sein, aber dann bekam ich eine Blinddarmentzündung in Bombay. Damit sind diese Pläne flachgefallen. Aber ich war vier Wochen in der Antarktis, um für meinen neuen Roman zu recherchieren.
Sie sind sehr viel unterwegs. Warum?
Ich tue das nicht, weil das Reisen für mich ein Luxus ist, sondern weil mir diese Art von Biografie aufgezwungen wurde. Ich bin ein Flüchtlingskind. Die ersten grossen Reisen geschahen aus Not und Notwendigkeit. Allein im Alter von sechs hatte ich schon mehrere sprachliche, religiöse und kulturelle Brüche erlebt. Das ist ja etwas anderes, als wenn sich ein englischer Aristokrat des 19. Jahrhunderts aufmachte, die Welt kennen zu lernen.
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Reisen Sie also nicht gern?
Doch, ich bin auch zufrieden mit meiner Biografie und dem Modell der Rastlosigkeit. Aber das heisst nicht, dass die Reisen freiwillig erfolgen. Ich habe nun mal verschiedene Baustellen, es ist ein innerer Zwang, sie nicht aufzugeben. Bulgarien ist mir wichtig, die deutsche Sprache, Afrika und Indien. Ich habe dann auch nicht das Gefühl, so viel unterwegs zu sein. Aus meiner Sicht ist ein Monat, den ich in Bombay, Sofia und München war, eigentlich ein Monat, in dem ich mehr oder weniger in meinen verschiedenen Heimaten war. Nur dass es dazwischen einen Flughafen gibt.
Was reizt Sie daran, auch immer wieder in für Sie unbekannte Gegenden aufzubrechen?
Das Hinausgeworfensein in das Unbekannte, in die Fremde. Das ist es, was mich fasziniert, mir auch Lebenskraft gibt und mich anregt. Ich empfinde Vertrautes nicht als angenehm und erstrebenswert. Im Gegenteil: Ich fühle mich wohl, wenn ein gehöriges Mass an Fremde und dadurch an Befremdung vorhanden ist.
Als Sie den “Weltensammler” geschrieben haben, sind Sie Richard Burtons Spuren nachgegangen, Sie sind ihm hinterhergereist. Hat Sie das verändert?
Ja, zum Beispiel weil ich Indien kennen gelernt und fünfeinhalb Jahre dort gelebt habe. Dort habe ich fast nur Dinge erfahren, die mir neu waren. Und ich habe mich intensiv mit zwei wunderschönen religiösen Traditionen – Hinduismus und Islam – beschäftigt. Ich habe viele Freunde gefunden, neue Formen des Denkens und Sehens kennen gelernt. Ich habe mich auch durch die Recherchereisen verändert. In Tansania zum Beispiel bin ich Burtons Expeditionsreise gefolgt, aber zu Fuss. Ich habe noch mal Neues über Afrika gelernt, über mich, meinen Körper, meine Haltung.
In Ihrem Band “Der entfesselte Globus” geht es auch um Bulgarien, aber sonst um die Länder und Kontinente, die im “Weltensammler” vorkommen. Ist der neue Band eine Art Parallelbuch?
Ja. Es ist gewissermassen ein Umspielen dieser Regionen und vieler Themen in einer anderen literarischen Form, nämlich der Reportage. Durch eine Textsammlung, die der Vielfalt und auch der Widersprüchlichkeit mehr Raum gibt.
In diesem Band gibt es auch einen Text über eine Fahrt mit einem Kreuzfahrtschiff. Er vermittelt den Eindruck, dass Sie von dieser Art des Reisens nichts halten.
Das ist so. Allerdings war das etwas unglücklich, weil ich eingeladen war, dort als Autor zu lesen. Ich hatte keine Ahnung von der Flüchtigkeit des Blicks, von der geradezu aggressiven Überheblichkeit, mit der die Fremde angegangen wird. Die Leute, die so reisen können, gehören zur materiellen Elite der Menschheit.
Sie haben durch ihren Wohlstand und ihre Bildung alle Möglichkeiten, wirklich etwas über diese Welt zu erfahren. Dass sie das nicht nutzen, ist schade. Sie sehen Pauschaltourismus kritisch. Erleben Sie das umgekehrt auch: dass andere ablehnend auf Ihre Bücher reagieren?
Ein Teil der Gesellschaft reagiert sehr aggressiv auf meine Bücher und meine Positionen. Es sind unterschiedliche Ideologien, die aufeinanderprallen. Was für die einen befreiend ist – die Auseinandersetzung mit dem Fremden -, ist für die anderen bedrohlich.
Glauben Sie, dass die feindliche Haltung dem Fremden gegenüber in Zukunft stärker werden wird?
Ja. Je mehr der Kampf um wirtschaftliche Privilegien, um Zugang zu Rohstoffen, aber auch zu überlebensnotwendigen Ressourcen wie Wasser zunimmt, je mehr die klimatische Erhitzung zu einer Zuspitzung sozialer Probleme führt, desto stärker wird die Ideologie der Abgrenzung werden. Man wird die anderen verteufeln, weil man sie dadurch als Konkurrenten ausschalten kann. Umso wichtiger finde ich es, die Menschlichkeit zu verteidigen. Sei es durch Romane oder durch Reportagen, Essays oder andere Texte.
Interview: Sabine Schmidt
Gebrauchsanweisung für Indien.
Piper, 176 Seiten
Die fingierte Revolution. Bulgarien, eine exemplarische Geschichte.
dtv, 256 Seiten
In Afrika. Mythos und Alltag.
Frederking & Thaler, 192 Seiten
Ilija Trojanow und Chenjerai Hove: Hüter der Sonne. Begegnungen mit Zimbabwes Ältesten, Wurzeln und Visionen afrikanischer Weisheit.
Frederking & Thaler, 128 Seiten
Die Welt ist gross und Rettung lauert überall.
dtv, 288 Seiten
Autopol.
dtv, 200 Seiten
Ilija Trojanow und Ranjit Huskote: Kampfabsage. Kulturen bekämpfen sich nicht, sie fliessen zusammen.
Blessing, 240 Seiten
Der Weltensammler.
dtv, 528 Seiten
Nomade auf vier Kontinenten. Auf den Spuren von Sir Richard Francis Burton.
Eichborn – Die andere Bibliothek, 444 Seiten
Zu den heiligen Quellen des Islam. Als Pilger nach Mekka und Medina.
Piper, 176 Seiten
Der Sadhu an der Teufelswand. Reportagen aus einem anderen Indien.
Frederking & Thaler, 224 Seiten
An den inneren Ufern Indiens. Eine Reise entlang des Ganges.
Piper, 208 Seiten
Der entfesselte Globus. Reportagen.
Hanser, 200 Seiten
Der entfesselte Globus. Lesung ausgewählter Reportagen.
Sprecher: Frank Arnold. Audiobuch, 2 CDs