Jenny Erpenbeck erhält Solothurner Literaturpreis 2008

admin | Posted 23/06/2008 | Autoren | Keine Kommentare »

Jenny Erpenbeck © Katharina Behling Eichborn Verlag

Die Berliner Autorin Jenny Erpenbeck erhält den Solothurner
Literaturpreis 2008. Die 1967 in Ost-Berlin geborene und heute mit
ihrem Sohn in Berlin lebende Autorin und Regisseurin werde für ihr "feinsinniges erzählerisches Werk" ausgezeichnet. Die öffentliche
Preisverleihung findet heute, am 23. Juni um 19.30
Uhr in Solothurn statt.

Der Preis ist mit 20.000 Franken (etwa 12.500 Euro) dotiert. Die dreiköpfige Jury, bestehend aus Hans Ulrich Probst (Vorsitz), Christine Tresch und Beat Mazenauer, würdigt mit dem Preis die poetische und sprachkritische Kunst, mit der Jenny Erpenbeck aus ungewöhnlichen Perspektiven individuelle Lebenswelten einfängt und in gesellschaftlich-politische Zusammenhänge stellt.

Erpenbecks jüngstes Werk "Heimsuchung" sei "ein Meisterwerk der poetischen Welterzählung". Zu ihren früheren Werken gehören "Geschichte vom alten Kind" (1999) "Tand" (2001) und "Wörterbuch" (2004). Der Solothurner Literaturpreis wird seit dem Jahr 1994 an deutschsprachige Autorinnen und Autoren für "hervorragende literarische Leistungen" vergeben.

Als Tochter des Physikers und Schriftstellers John Erpenbeck und der Arabisch-Übersetzerin Doris Kilias geboren, absolvierte Jenny Erpenbeck nach dem Abitur 1985 eine Buchbinderlehre. Von 1988-1994 studierte sie Theaterwissenschaft und Musiktheater-Regie. Nach Abschluss des Studiums wirkte sie zuerst als Regieassistentin, unter anderem in Graz, seit 1998 ist sie freischaffende Regisseurin und Autorin.

Das Erscheinen ihres Debüts "Geschichte vom alten Kind" verblüffte 1999 die literarische Öffentlichkeit. Ihre Schilderung eines Kindes, das unverhofft auftaucht, verstockt schweigt und das Gefängnis eines Waisenhauses als Heimat anerkennt, ist von einer Traurigkeit und Auswegslosigkeit, die Erpenbecks lakonischer Erzählton zusätzlich steigert. Schon im Erstling deutet sich an, dass es für diese Autorin keine Existenz gibt, der man sich nicht ständig neu vergewissern muss. Im Zentrum des Erzählbandes "Tand" (2001) stehen Fragen nach der verschwiegenen, verdrängten Familien-Geschichte, etwa in der Titelgeschichte, in der die Erzählerin das Wesen ihrer Grossmutter mit kindlich naiven, doch subtilen Beobachtungen erkundet.

Aus der Kinderperspektive erzählt Erpenbeck auch in "Wörterbuch" (2004). Sie schildert den schleichenden Vertrauensschwund in die Sprache und daraus abgeleitet in die realen Gegebenheiten. Sind dem Kind anfänglich Wörter wie Ball oder Vater und Mutter "heil" und gehen leicht über die Lippen, eröffnet der wachsende Zweifel an ihnen verstörende Blicke auf eine ganz andere, brutale Wirklichkeit, die falsche Eltern und ein diktatorisches System entlarvt.

Mit solchen Themen und Stilmitteln formt Jenny Erpenbeck in "Heimsuchung" (2008) ein Meisterwerk der poetischen Welterzählung. Sie fokussiert den Blick auf einen kleinen Flecken Land am Märkischen Meer im Osten Deutschlands. In einem vielstimmigen Kaleidoskop beschreibt sie seinen historischen Wandel. Poetisch verdichtet und der chronologischen Ordnung entrissen greifen Lebensgeschichten ineinander und spiegeln die deutsche Geschichte des 20. Jahrhunderts im Privaten. "Heimsuchung" wird so zur modernen Verteidigung einer Vorstellung von Heimat, der mit dem Verlust von Scholle auch das kulturelle Gedächtnis abhanden kommt.

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