Jimi Hendrix aus Litauen
admin | Posted 26/10/2008 | Belletristik | Keine Kommentare »
Witzig und tiefgründig: Benedict Wells erster Roman ist eine Entdeckung. Er ist erst 23, schreibt aber, als hätte er nie etwas
anderes getan. Filmfirmen stehen Schlange, um seinen ersten Roman ins
Kino zu bringen.
Der Berliner Benedict Wells sieht aus wie ein Independent-Popstar und singt in einer Rockband.
Er zeichnet, "aber ohne Farbe". Er spielt Fußball, geht ins Fitnessstudio. Er könnte sicherlich als Model arbeiten. Dass er bei so vielen Talenten dennoch das Schreiben zum ersten Steckenpferd gewählt hat, ist ein Glücksfall für den Literaturbetrieb – und für alle bibliophilen Abiturientinnen.
Denn ungebunden, also "solo", ist er auch. Sein geradlinig erzählter, fabelhafter Roman begleitet einen jugendsüchtigen Musiklehrer, seinen Gitarre spielenden Schüler Rauli aus Litauen und den hypochondrischen Deutsch-Afrikaner Charlie auf ihrer Ausreißertour Richtung Istanbul.
Es geht um Lebensträume und um die Liebe zu Frauen, die Anna oder Lara heißen. Es geht um Bob Dylan, den perfekten Rocksong und um "wow, eine weiße Fender Stratocaster", das legendärste Gitarrenmodell der Musikgeschichte.
Mit ihr beginnt die Karriere des späteren Popstars Rauli. Auf diesem Instrument spielt er seinem begeisterten Lehrer die ersten Akkorde vor.
Mit Erfolg: "Dieser kindliche Litauer war verdammt noch mal so gut wie Jimi Hendrix, ach was, er war besser als Jimi Hendrix." Lehrer Beck wird Raulis Manager, der Weg nach oben ist offen.
Vier Jahre hat Benedict Wells an seinem Roman geschrieben. "Es hagelte zunächst eine Absage nach der nächsten", erinnert er sich. "Ich wollte schon abhauen."
Doch dann rief Diogenes-Verleger Daniel Kehl im Sommer 2007 an. Damals saß der glücklose Schriftsteller in der Redaktion von "Menschen bei Maischberger", um seine Brötchen als Teasertexter zu verdienen.
"Eine halbe Stunde haben wir gesprochen, ich bin immer nervöser geworden und sogar in schweizerdeutschen Dialekt gefallen vor Aufregung." Den Job kündigte Wells wenig später.
GROSSES KINO
Danach ging alles ganz schnell. Er unterschrieb den Vertrag und lancierte auch noch den Roman bei den Schweizern, den er vor der "Beck"-Geschichte geschrieben hat, "eine klassische Debütgeschichte, die in Berlin spielt".
Dieser Text erscheint im Herbst 2009, wenn "Becks letzter Sommer" die Taschenbuchreife erlangt hat, wenn die erste Lesetour beendet, wenn der Rummel verdaut, verarbeitet ist.
Etliche Filmfirmen wollen das Buch ins Kino bringen. Und Wells träumt bereits von einer großen Starbesetzung: "Christian Ulmen in der Hauptrolle. Das war schon immer mein Traum, den habe ich mir auch immer wieder vorgestellt, während ich diesen Roman geschrieben habe."
Ulmen als Beck, das passt. Dieser Charakter ist wunderbar, weil er sich für Fauxpas mit Kaufhaus-Pralinen entschuldigt, weil er heimlich rührende Songtexte verfasst und weil Beck als Melancholiker an der Jugendwelt da draußen leidet.
Zu ihm gesellt sich der 17-jährige Außenseiter Rauli, als Mischung aus Rüpelmusiker Pete Doherty und ärmlichem Oliver Twist-Verschnitt der 90er-Jahre.
Hypochonder Charlie, ein dilettantischer, schwindelnder Drogenkurier, der seine sieben Katzenleben erstaunlich tölpelhaft verspielt, ist als Lebemensch-Karikatur umwerfend.
Die Dialoge knallen, die Geschichte überzeugt, "Becks letzter Sommer" ist ein beeindruckendes Debüt.
Text: Jan Drees für die Printausgabe von Seite 4