Fettfleck – nein danke!

admin | Posted 19/12/2008 | Preise und Events | Keine Kommentare »

Bernd Berke ist Kulturchef der Westfälischen Rundschau.

Natürlich: Bücher sind auch Gebrauchsgegenstände. Bernd Berke bittet dennoch um Rücksicht.

Gehören Sie auch zu den Menschen, die beim Lesen immer einen Bleistift bereithalten?


Mit anderen Worten: Streichen Sie die besten oder auch die fragwürdigsten Stellen an?

Dann zählen wir zur selben Sorte. Kein Buch bleibt bei uns blütenweiß. Es gibt auch Menschen, die nicht einmal zart unterstrichene Wörter ertragen.

Was soll man von solchem Reinlichkeitswahn halten? Neurotisch, nicht wahr?

Früher hab ich’s noch viel schlimmer getrieben und immer Balken, Striche, Sternchen oder Ausrufe- und Fragezeichen neben Passagen gesetzt, die mir bemerkenswert schienen.

Irgendwo mussten die Emotionen beim Lesen ja hin.

So treibt das Lesen das Schreiben an. Ganz unmittelbar. Blöd nur, wenn man das betreffende Buch irgendwann zum zweiten Mal lesen will.

Dann gehen einem die eigenen, früheren Markierungen (die auf längst erledigte Vorlieben oder Abneigungen schließen lassen) schnell auf die Nerven.

Inzwischen nämlich hat man sich geändert und will das Buch unter ganz anderen Vorzeichen lesen – am liebsten so, als würde man es noch gar nicht kennen.

Da kommen einem diese lästigen Bleistiftstriche von "damals" in die Quere.

Weitaus übler noch, wenn man seinerzeit einen Kugelschreiber benutzt hat. Da könnte man lauthals über sich selbst fluchen.

Was ist man für ein Depp gewesen! Doch man lernt ja im Lauf eines Leselebens hinzu: Deshalb nutze ich seit einigen Jahren die hintersten,
in der Regel unbedruckten Seiten der Bücher, um dort Notizen bei der Lektüre unterzubringen.

Extrembeispiel: "Seite 622 – totaler Schwachsinn!" Naja, etwas differenzierter sind die Bemerkungen meistens schon.

Jedenfalls: Wenn ich möchte, kann ich mir das Gekrakel später wieder vergegenwärtigen, ich muss es aber nicht tun.

Ich kann es ebenso gut ignorieren.

Andere legen Zettel mit Notizen ´rein. Auch eine Methode, um die Buchseiten zu schonen.

Muss eben jeder selbst wissen.

Was sich von selbst verstehen sollte, aber nicht immer eingehalten wird: In geliehenen Büchern, egal ob von Freunden oder aus der Bibliothek, darf man natürlich nie und nimmer derart herumstricheln.

Nun gut: In den vielleicht kommenden Zeiten der "E-Books" werden die Menschen irgendwann gar nicht mehr wissen, was ein "Eselsohr" gewesen ist.

Es sei denn, jemand würde eine Methode erfinden, um kleine Knicks und Kniffe in Bildschirme zu machen… Erst mal egal.

Wie bitterkomisch man reagieren kann, wenn man sein papierenes Buch ramponiert zurückerhält, hat übrigens einst der immens stilsichere
Wiener Kritiker und Literat Alfred Polgar vorgemacht.

Er bekam sein wertvolles Exemplar mit Fettflecken wieder und schickte dem elenden Buchfrevler eine triefende Ölsardine retour – mit den
goldenen Worten: "Ich bestätige den Empfang des Buches und erlaube mir, Ihnen Ihr wertes Lesezeichen zurückzusenden."

Wie trefflich diese Anekdote ist, zeigt schon der Umstand, dass sie nahezu wortgleich dem Dichter Hugo von Hofmannsthal zugeschrieben wurde.

Hab’s grad noch mal nachgeschlagen. Fachleute nennen so etwas übrigens eine "Wander-Anekdote".

Aha. Wieder etwas dazugelernt.

Lesen bildet eben.


Text: Bernd Berke
für die Printausgabe von Seite 4

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