Wertvolle Seiten
admin | Posted 05/01/2009 | Belletristik | Keine Kommentare »
Eine kostbare jüdische Handschrift überstand Jahrhunderte der Verfolgung. Geraldine Brooks´ Roman über dieses Buch ist ein eindringliches Plädoyer für Menschlichkeit.
Ausgerechnet ein Moslem rettete die Sarajevo-Haggadah während des Jugoslawien-Kriegs – und es war nicht das erste Mal, dass ein Moslem dieses Buch vor der Zerstörung bewahrte.
1942 hatte es Dervis Korkut, ein islamischer Gelehrter und Leiter der Museumsbibliothek im Bosnischen Nationalmuseum in Sarajevo,
vor den Nazis versteckt.
Er riskierte sein Leben nicht nur für jahrhundertealte Seiten, sondern auch für eine junge Jüdin, die er in seinen Haushalt schmuggelte
und die er eine Weile bei seiner Familie leben ließ.
Die kostbare Handschrift aus dem 15. Jahrhundert stammt aus Spanien und ist über Venedig und Wien nach Sarajevo gekommen.
Wie andere Haggadahs auch erzählt sie vom Auszug der Juden aus Ägypten.
Sie ist aber, anders als die meisten anderen Schriften, mit Bildern ausgestattet, reich mit Blattgold und Blattsilber versehen, mit kostbaren Pigmenten aus Lapislazuli, Azurit und Malachit gemalt.
Sie hat ihre Besitzer in schweren Zeiten begleitet, wenn sie vertrieben wurden, ins Gefängnis kamen, gefoltert oder zur Armut
gezwungen wurden. Aber es gab auch immer wieder Zeiten des Neben- und Miteinanders, Solidarität und Hilfe über religiöse Grenzen hinweg.
Beides – Vertreibungen wie Miteinander – ist der Stoff, aus dem Geraldine Brooks ihren neuen Roman geschrieben hat.
Es ist ihr dritter, nach ihrem gefeierten Debüt "Das Pesttuch" und dem Roman "Auf freiem Feld", für den sie 2006 den Pulitzer-Preis erhielt.
"Die Hochzeitsgabe", die in den USA monatelang auf der New-York-Times-Bestsellerliste stand, erzählt die Geschichte der Sarajevo-Haggadah.
Ausgehend von bekannten Fakten wie der zweifachen Rettung durch Muslime und ausgeschmückt mit Episoden vom 15. Jahrhundert bis in unsere Zeit, die Brooks sich ausgedacht hat, die aber auf tatsächliche Geschichte zurückgehen und so hätten passieren können.
Für ihren Roman wurde sie angeregt, als sie beobachtete, wie die deutsche Expertin Andrea Pataki das Original der Sarajevo-Haggadah zerlegte. Die UN finanzierten nach dem Krieg in den 90er-Jahren eine Restaurierung der alten Handschrift, und Brooks konnte dabei sein.
"Die Haggadah wurde aufgrund der immer noch instabilen Lage in der Stadt scharf bewacht", erzählt sie.
"Der Raum war also voll von Polizei und Leuten vom Geheimdienst, und dann saß da diese Frau alleine an einem Tisch und machte ihre Arbeit – es war bizarr. Das war aufregend, und mein Roman nahm in meinem Kopf erste Gestalt an."
In ihrer Geschichte ist es die Buchkonservatorin Hanna Heath aus Australien, die 1996 nach Sarajevo gerufen wird.
Sie untersucht die Haggadah, lässt Proben – Weinflecke, Salzreste, den Flügel eines Schmetterlings – chemisch untersuchen.
Und Brooks erzählt, eingebettet in die Geschichte Hannas und basierend auf den chemischen Analysen, die zum Teil wahre, zum Teil
fiktive Geschichte der kostbaren Handschrift.
Es ist ein spannender, gut zu lesender Roman, der vergangene Geschichte lebendig macht, indem er Schicksale einfühlsam erzählt.
Ein schönes Buch – und wegen seines eindringlichen Plädoyers für Menschlichkeit auch ein besonderes.
Text: Susanne Köhler