Friedenspreis für Claudio Magris
Petra Bohm | Posted 18/06/2009 | Autoren, Preise und Events | Keine Kommentare »
Frankfurt/Berlin(dpa) Der italienische Schriftsteller Claudio Magris erhält in diesem Jahr den Friedenspreis des Deutschen Buchhandels.
Das gab der Börsenverein des Deutschen Buchhandels am Donnerstag zum Auftakt der Buchtage in Berlin bekannt. Wie kaum ein anderer habe sich der 70-Jährige mit den Problemen des Zusammenlebens und Zusammenwirkens verschiedener Kulturen beschäftigt, begründete der Stiftungsrat seine Wahl.
Magris wurde am 10. April 1939 in Triest geboren und studierte unter anderem in Freiburg. Er gilt als einer der wichtigsten italienischen Germanisten und als brillanter Kulturpublizist. Neben wissenschaftlichen Arbeiten und politischen Essays veröffentlichte er Erzählungen und Kurzgeschichten. Seit Jahren gehört der Autor zu den Favoriten für den Literaturnobelpreis.
Magris erzähle in zahlreichen Werken von der Vielfalt der Systeme und Sprachen Mitteleuropas, von Eigentümlichkeiten und Gegensätzen, heißt es in der Begründung des Stiftungsrats. «Erzählendes und Reflektierendes, Faktisches und Fiktionales verbindet Claudio Magris in seiner ganz eigenen literarischen Weise.» Er hebe dabei hervor, wie kreativ die Verschiedenheit sein könne, wenn sie denn in ihrer Eigenart geachtet und beachtet werde. Er sei ein streitbarer Gegner von Ausgrenzung und kulturellem Dominanzdenken.
Der seit 1950 vergebene Friedenspreis gehört zu den bedeutendsten Auszeichnungen in Deutschland. Mit dem Kulturpreis wird eine Persönlichkeit aus dem In- oder Ausland geehrt, die vor allem auf den Gebieten Literatur, Wissenschaft und Kunst zur Verwirklichung des Friedensgedankens beigetragen hat. Der Preis ist mit 25 000 Euro dotiert und wird traditionell zum Abschluss der Frankfurter Buchmesse im Oktober in der Paulskirche überreicht.
Im vergangenen Jahr war der Maler und Bildhauer Anselm Kiefer ausgezeichnet worden, im Jahr zuvor der jüdische Historiker Saul Friedländer. Zu den bisherigen Preisträgern gehören außerdem der türkische Schriftsteller Orhan Pamuk (2005), Jürgen Habermas (2001), Martin Walser (1998), Vaclav Havel (1989), Siegfried Lenz (1988), Astrid Lindgren (1978), Hermann Hesse (1955) und Albert Schweitzer (1951).
Claudio Magris – ein europäischer Grenzgänger
Von Hanns-Jochen Kaffsack und Helen Hoffmann(dpa)
Rom/Hamburg (dpa) – Grenzen haben für Claudio Magris etwas Verbindendes. Der italienische Germanist und Autor begreift sie als Brücken, als eine Chance, etwas Getrenntes zu verknüpfen. Magris ist ein Grenzgänger zwischen Literatur und Philosophie, ein Flaneur durch die europäische Kultur. Weil er für ein Europa eintritt, das «seine geschichtliche und kulturelle Tradition und Vielfalt bedenkt und darauf beharrt», wird der streitbare Wissenschaftler und Schriftsteller mit dem Friedenspreis des Deutschen Buchhandels ausgezeichnet.
Der heute 70-Jährige ist einer der wichtigsten Literaten Europas. Sein vielfältiges schriftstellerisches Schaffen, seine humanistische Haltung und offene Art haben ihm viel Bewunderung eingebracht. Magris gilt als einer der brillantesten Kultur-publizisten Italiens, als einer, der in allerbester italienischer Manier intellektuelles Feuerwerk liefert.
Auch in die Politik seines Landes hat sich der Vater zweier Kinder immer wieder eingemischt. Von 1994 bis 1996 saß er als unabhängiges Mitglied eines Linksbündnisses für die Grenzregion Triest im römischen Senat. Aus Enttäuschung über die Regierung unter Silvio Berlusconi gründete er 2002 mit Umberto Eco und anderen Persönlichkeiten aus Kunst und Kultur die Vereinigung «Libertà e Giustizia» (Freiheit und Gerechtigkeit). Als Essayist und Kolumnist der Mailänder Tageszeitung «Corriere della Sera» nahm er zu innen- und außenpolitischen Themen Stellung.
Seine Rolle als Vermittler zwischen verschiedenen Kulturen sieht er in engem Zusammenhang mit seiner Heimat Triest. Wer «an der Kreuzung der italienischen, slawischen und deutschen Welt» zur Welt komme, für den sei die Toleranz ein ganz besonders wichtiger und gleichzeitig heikler Wert, schrieb Magris 2001 in einem Essay.
Erste internationale Bekanntheit erreichte Magris mit seiner Doktorarbeit «Der habsburgische Mythos in der österreichischen Literatur» (1963), die in viele Sprachen übersetzt wurde. Das Werk gilt als moderner Klassiker der Literaturgeschichtsschreibung. Seine mitteleuropäische Spurensuche setzte der Schriftsteller, der in Turin und in Freiburg/Breisgau studierte, unter anderem mit «Donau. Biographie eines Flusses» (deutsch 1988) erfolgreich fort.
Für seine Leistung erhielt der Sohn eines Versicherungsbeamten und einer Lehrerin zahlreiche Auszeichnungen. Darunter sind der Premio Strega (1997), der Prinz-von-Asturien-Preis (2004) und der Österreichische Staatspreis für Europäische Literatur (2005). Seit Jahren gilt Magris als Anwärter auf den Literaturnobelpreis.
Mit dem Friedenspreis des Deutschen Buchhandels hat Magris nicht gerechnet. «Ich war völlig überrascht», sagte er der online-Ausgabe des «Börsenblatts des Deutschen Buchhandels». Gleichzeitig gab er sich nachdenklich und bescheiden: «Es käme mir auch nie in den Sinn, damit zu prahlen. Ein solch großer Preis zwingt einen, ein bisschen Bilanz zu ziehen. Und diese Bilanz zeigt immer ein Defizit, von dem man hofft, dass die anderen es nicht bemerken.»
Lieferbare Bücher von Claudio Magris
Nach Angaben des Börsenvereins des Deutschen Buchhandels folgende Titel lieferbar:
«Ein Nilpferd in Lund. Reisebilder» (Carl Hanser Verlag)
«Blindlings» (Carl Hanser Verlag und Deutscher Taschenbuch Verlag) «Die Ausstellung» (Carl Hanser Verlag, Edition Akzente)
«Schon gewesen sein. Essere già stati» (Edition Korrespondenzen Reto Ziegler – deutsch und italienisch)
«Utopie und Entzauberung. Geschichten, Hoffnungen und Illusionen der Moderne» (Carl Hanser Verlag)
«Der habsburgische Mythos in der österreichischen Literatur» (Paul Zsolnay Verlag)
«Die Welt en gros und en détail» (Carl Hanser Verlag und Deutscher Taschenbuch Verlag dtv)
«Donau. Biographie eines Flusses» (Carl Hanser Verlag und Deutscher Taschenbuch Verlag)
«Triest. Eine literarische Hauptstadt in Mitteleuropa» (mit Angelo Ara) (Deutscher Taschenbuch Verlag)
«Mutmaßungen über einen Säbel» (Carl Hanser Verlag)