Ein Leben für Gott – und die Poesie

Books | Posted 17/07/2009 | Belletristik | Keine Kommentare »

Zwei Erfahrungen unter einem Spannungsbogen macht Silja Walter in ihrem Leben aus. Ein Besuch im Kloster Fahr bei der 90-jährigen Ordensfrau und unermüdlichen Schriftstellerin.

«Warten Sie einen Moment, ich suche Schwester Hedwig»,sagt die Frau am anderen Ende der Leitung. Schritte hallen durch einen Gang. Eine Türklinke wird betätigt und dann noch eine. Die Stimme der 90-jährigen Ordensfrau, die nun am Hörer ist, klingt wach und lebendig. Ohne Umschweife ist ein Besuchsdatum fixiert.

Klein und schmal sitzt sie da. «Der Eintritt ins Kloster ist für mich eine wunderbare Fügung gewesen.» Mehr möchte Schwester Maria Hedwig alias Silja Walter über diesen Lebensabschnitt nicht preisgeben und verweist auf ihr neuestes Buch: «Lesen Sie es.» In «Das dreifarbene Meer – Meine Heilsgeschichte» setzt sich Silja Walter mit ihrer Berufung auseinander. Dazu gehörten auch innere Kämpfe, über die zu reden ihr zu persönlich ist. Die literarische Bearbeitung sei eine andere Sache, weil sie hier das Mittel der Verfremdung einsetzen könne. Die Anfrage für den Text kam vom Paulusverlag. Entstanden ist er innert kürzester Zeit: «Ich habe im Januar angefangen zu schreiben und war im April fertig damit. Das geschah wie in einem Guss.»

Silja Walter wurde am 23. April 1919 als zweites von neun Kindern im Kanton Solothurn in der Schweiz geboren. Das grossbürgerliche Milieu, in dem sie aufgewachsen ist, war katholisch geprägt. Die Affinität zur Literatur lag nahe: Der Vater war Verleger und schrieb. Ein Onkel verfasste Theaterstücke. Und auch das jüngste ihrer Geschwister, Otto F. Walter, sollte später als Romanschriftsteller bekannt werden. Der 1991 erstmals erschienene autobiografische Roman «Der Wolkenbaum» handelt von ihrer Kindheit. Aus der Perspektive der sechsjährigen Cécile schildert die Erzählerin die letzten Monate im «alten Haus» der Grossmutter, bevor die Familie in ein neues Haus zieht. «Du wirst sehen, du gehst noch ins Kloster, wenn du gross bist», sagt die Köchin zur kleinen Protagonistin. Mit vierzehn Jahren trat Silja Walter in das
von Nonnen geführte Seminar Menzingen ein. Danach hatte sie andere Pläne. Sie fühlte sich zum Theater hingezogen und studierte Literatur in Freiburg i.Ü. In dieser Zeit sei sie drei Jahre lang krank gewesen, nicht am Stück, aber immer wieder.[pagebreak]

Vielfältiges Schaffen

«Das hat eine neue Situation ergeben.» Im Arbeits- und Besucherzimmer der Ordensfrau steht ein Computer. Bald wird sie von hier aus über das Internet mit der Aussenwelt in Kontakt treten. «Ich habe mir das zum 90. Geburtstag gewünscht.» Doch sie will den Austausch per Mail begrenzt halten und keine Unruhe einziehen lassen. Obwohl sie in einem sogenannt geschlossenen Kloster lebt, ist der Kontakt mit der Aussenwelt rege. Sie empfängt regelmässig Besuch von Menschen, die sich mit einem persönlichen Anliegen an sie wenden. Man spreche über religiöse Erfahrungen, über Probleme mit der Familie oder der Kirche, manchmal auch über eines ihrer Bücher. «Immer wieder werde ich auf den ‹Wolkenbaum› angesprochen.» Sicher ist, dass sie das Kloster nicht mehr verlassen wird. Immer noch erhält sie Anfragen für kleine Auftritte, so wie
letzthin,als sie anlässlich eines Passionsspiels hätte Texte lesen sollen. Daraus wurde nichts. «Wenn jemand etwas von mir will, muss er zu mir kommen.»

Seit über sechzig Jahren lebt sie im Kloster Fahr, seit Jahrzehnten ist sie schriftstellerisch tätig. Kamen sich diese beiden Bereiche, der Glaube und das Schreiben nie in die Quere, will ich wissen. «Nein, es ist kein Konflikt, es sind zwei Erfahrungen unter einem Spannungsbogen.» Ganz so einfach miteinander zu vereinbaren waren die beiden Bedürfnisse vielleicht doch nicht immer. Denn während der ersten drei Jahre im Kloster schrieb Silja Walter nichts. Bis eines Tages eine Anfrage für ein Singspiel kam und sich etwas von innen heraus geöffnet habe. «Von da an ist fast jedes Jahr ein neuer Band entstanden.» Inzwischen gibt der Paulusverlag eine Gesamtausgabe ihrer Werke heraus. Bis heute sind zehn Bände erschienen. Es ist ein vielfältiges Schaffen – von Lyrik, Prosa und Drama über religiöse Schriften und Mysterienspiele.

Der Alltag im benediktinischen Kloster ist klar strukturiert. Von morgens um 5 Uhr bis abends um 20.30 Uhr wechseln sich nach einem fixen Ablauf Gebet, Erholung und Arbeit. Dieser Tagesablauf gilt für alle Nonnen. «Ich bin genau so eingespannt wie die anderen. Einzig von der Chorpflicht sind die älteren Nonnen normalerweise ausgenommen.» Dass sie heute drei Stunden Gebetszeit zur Verfügung hat, erachtet sie als Privileg. In dieser Zeit widmet sie sich intensiv der Gottesfrage und dem Gebet. «Wir beten für die Welt. Gibt es irgendwo in der Schöpfung ein geistliches Loch, dann füllen wir das.» Sie ist überzeugt, dass das geordnete Leben im Kloster den Menschen verändert. Während sechs Stunden am Tag geht jede Schwester in Fahr einer Arbeit nach, die ihren Fähigkeiten entspricht. Silja Walter nutzt diese Zeit vor allem zum Schreiben. Momentan arbeitet sie an einem neuen Buch, an einer universalen Familiengeschichte. Es ist kein Zufall, dass die kleine Cécile im «Wolkenbaum» sagt: «Wenn ich gross bin, werde ich alles denken, was es zu denken gibt auf der Welt. Alles, von Anfang an.»

Es sind die grossen Fragen der Theologie – wie jene nach dem Wesen Gottes – welche die Ordensfrau umtreiben und am Leben halten. Was mit dem Papst sei? Mit der Rolle der Frau in der katholischen Kirche? «Das Papsttum wird von uns Katholiken nicht in Frage gestellt», sie klopft mit dem Zeigefinger auf den Tisch, «sein menschliches Verhalten hingegen kann diskutiert werden.» Silja Walter glaubt, dass sich auch die Stellung der Frau innerhalb der Kirche längerfristig ändern wird, aber: «Sie braucht Zeit dafür.» Eigentlich äussere sie sich nur ungern zu solchen Themen. «Viele Leute sehen die Kirche als Politikum. Dabei geht es um Jesus Christus.»

Zum Schluss möchte ich wissen, ob Silja Walter zeitgenössische Literatur lese. Sie schüttelt den Kopf. «Das einzige Buch, in dem ich regelmässig lese, ist die Bibel. Sie ist meine Quelle.» Richtig entdeckt habe sie diese erst im Kloster. Mit einer solchen Vehemenz, dass seither kein anderes Buch mehr an das Buch der Bücher heranreiche. «Wenn Gott jemanden ergreift, dann ist es wie eine Liebesgeschichte.» Während ihrer Meditationszeit im Garten, zwischen Lauch und Bohnen wandelnd, habe sie zu Gott schon gesagt: «Du faszinierst mich, und dabei kann ich dich nicht haben.» Das sei auch eine Art Kampf. Dennoch ist sie sich
sicher: «Er liebt mich. Er liebt jeden Menschen.»

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