Ein Romannetz rund um eine Sommernacht

Books | Posted 22/07/2009 | Belletristik | Keine Kommentare »

Hamburg (dpa) – «Dies ist ein Roman. Nichts in diesem Buch ist wahr.» Wie erfrischend, dass der Niederländer Marcel Möring dieses Motto seinem jetzt auf Deutsch erschienenen Buch «Der nächtige Ort» voranstellt.

So viele Erfahrungen und Lebensweisheiten wie in diesem Text enthalten sind, kann der 51 Jahre alte Autor auch unmöglich selbst alle erlebt haben. Möring spinnt in seinem bereits vor drei Jahren in seiner Heimat veröffentlichten Buch vielmehr ein Romannetz, das dichter kaum sein könnte. Ein solcher Vorschaltsatz täte vielen Romanen gut. Ein Netz, in dem man sich gerne verheddert, denn es ist unglaublich spannend und anregend. Der Roman spielt in Assen. Und in der mittelgroßen Stadt im Nordosten der Niederlande wuchs Möring auf.

Zeitlich läuft alles auf eine Sommernacht zu, den 27. Juni 1980. Diese «Nacht der Nächte», wie sie immer wieder genannt wird, ist die Nacht vor den (tatsächlich) jährlich dort stattfindenden TT-Motorradrennen. Sie bedeutet Ausnahmezustand. Sowohl Assener als auch die vielen Touristen lassen alle Hemmungen fallen. Es wird gesoffen, geraucht und sexuellen Bedürfnissen nachgegangen. Möring beschreibt das in einer Detailfülle und Anschaulichkeit, dass man beim Lesen Bier, Schweiß und Zigarettenqualm zu riechen meint.

Die eine Hauptperson Jakob Noach ist mit ihrer ganzen Lebensgeschichte präsent. Aus einem Erdloch, in dem der jüdische Niederländer vor nationalsozialistischen Häschern und ihren Kollaborateuren versteckt wurde, arbeitet sich der Mann hoch zu einem der reichsten Kaufleute der Stadt. Und er hat einen großen Plan, mit dessen Durchführung er sich für das Unrecht rächt, das ihm seine Eltern und seinen Bruder weggenommen hat.

Zweiter wichtigster Protagonist ist Markus Kolpa, ein intellektueller Kopf – der eigentlich wegen Jakob Noachs Tochter Chaja nach Assen gekommen ist, in dieser einen Sommernacht. Um beide herum drehen sich etliche kleine und große Schicksale, Charaktere wie ein italienischer Nachtclubbesitzer, Alt-68er oder Gestalten, die der jüdischen Mythologie entspringen – wie Lilith als erste Frau Adams, hier Sinnbild für den weiblichen «Dämon», von dem sich sowohl Jakob als auch Markus nicht lösen können.

Mit einem Metaphernreichtum, der manchmal etwas sehr weit geht, so in «schwarzen Wänden», die aufglühen, als ob sie aus «noch schwelender Holzkohle» bestünden, schafft Möring es immer wieder, die kleine Stadt Assen zum Panorama der ganzen Vielfalt menschlicher Empfindungen und Sinneseindrücke werden zu lassen.

Jakob wie Markus sind beide an Scheidepunkten, in dieser Nacht. Beide zweifeln an der Sinnhaftigkeit ihrer Lebensläufe. Und doch fühlen sie, dass sie ihm nicht einfach entfliehen können und ihren Frieden schließen müssen. Denn sie hätten einiges zu verlieren: In Markus’ Fall die Liebe zu der – wie er – ganz egozentrischen und besonderen Chaja. In Jakobs Fall die Tatsache, dass er überlebt hat, wobei der Roman offenlässt, ob Jakob nach einem Autounfall wirklich noch lebt. Der nächtliche Ort lässt eben auch manches im Dunkeln.

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