Geschichten von Ende mit unendlicher Faszination
Petra Bohm | Posted 07/08/2009 | Autoren | Keine Kommentare »
Während derzeit wieder Harry Potter auf der Leinwand Magie versprüht und sogar Erwachsene die Vampir-Geschichten der «Twilight»-Reihe in sich aufsaugen, hat einer vieles davon schon einmal aufgeschrieben…
Düstere Wälder voller unheimlicher Gestalten, unendliche Wüsten-Weiten, seltsame Gnome und Nachtalben – was sich anhört wie ein Ausschnitt aus der neuesten Blockbuster- und Bestsellerliste, hat schon ein paar Jahre auf dem Buckel. Michael Ende hat mit seinen Fantasie-Büchern Kinder, Jugendliche und Erwachsene auf der ganzen Welt fasziniert. In diesem Jahr hätte der 1995 gestorbene Schriftsteller seinen 80. Geburtstag gefeiert. Und sein Kultbuch «Die unendliche Geschichte» wird 30 Jahre alt.
All das wird gebührend gefeiert: Am 22. August wird zum ersten Mal eine neue Bühnenversion der «Unendlichen Geschichte» in Garmisch- Partenkirchen gezeigt. Komponiert hat sie ein enger Freund Endes, der Musiker Wilfried Hiller. Wie viele andere ist er überzeugt, dass Ende trotz viel Fantasy-Konkurrenz bis heute nicht unmodern ist.
«Michael Ende ist der absolute Klassiker. Er wird immer noch sehr viel gelesen», sagt Christiane Raabe, Direktorin der Internationalen Jugendbibliothek in München und Kuratorin des dazugehörenden Michael- Ende-Museums. Endes Bücher wurden in mehr als 40 Sprachen übersetzt, die Auflagen gehen in die Millionen. «Es gibt unheimlich viel Fantasy-Literatur, die auf dem Markt ist. Aber trotzdem behauptet sich Michael Ende, das sieht man schon an den Verkaufszahlen.» Allerdings wollte sich Ende selber nie als Kinderbuchautor sehen. Und pompöse Fantasy-Gebilde wie etwa der Kinofilm zu seiner «Unendlichen Geschichte» waren für ihn das Grauen. «Die fantastischen Geschichten von Michael Ende sind sehr vielschichtig, nicht so billig. Deshalb sind sie so erfolgreich über die Jahre», meint Expertin Raabe. «Er spricht viele unbewusste Dinge, Mythen, die Entgrenzung von Zeit und Raum an. Aber das ist ja nicht abseits von der Realität. Er führt innere Welten, Seelenlandschaften auf.»
Mit «Jim Knopf und Lukas der Lokomotivführer» fing alles an, in den 1950er Jahren. Ende war als Sohn des surrealistischen Malers Edgar Ende am 12. November 1929 in Garmisch-Partenkirchen zur Welt gekommen. In München besuchte er die Schauspielschule, entschied sich später aber, als freier Schriftsteller zu arbeiten. Mehr als zehn Verlage hatten die fantastische Reise-Geschichte des kleinen Jim abgelehnt – nach seinem Erscheinen 1960 wurde sie zum Verkaufserfolg, in 20 Sprachen übersetzt und brachte Ende den Durchbruch.
Ende zog mit seiner Frau nach Italien, nicht zuletzt deshalb, um vor den Kritikern zu fliehen, die seine Traumliteratur «Weltflucht» und «Unterhaltungs-Opium» nannten. 1973 folgte der zweite große Erfolg mit «Momo», Untertitel: «die seltsame Geschichte von den Zeit- Dieben und von dem Kind, das den Menschen die gestohlene Zeit zurückbrachte». 1979 war es dann soweit. «Die unendliche Geschichte» kam heraus – bis heute ein Kultbuch vor allem bei Erwachsenen.
Endes Freund Hiller, der zusammen mit ihm zahlreiche Lieder und auch Opern schrieb, erlebte die Entstehung der «Unendlichen Geschichte» hautnah mit. «Er hat mir erzählt, dass er im Moment keine Texte für mich schreiben könne, weil er in einem Buch steckte, aus dem er nicht herauskam», erinnert sich Hiller, der Ende in Italien kennenlernte. «Er las einzelne Kapitel vor. Er kam gar nicht mehr heraus. Er liebte das Erzählen, aber er liebte auch den Kontakt mit anderen. Er war nicht einer, der zu Hause am Schreibtisch hockte und am Bleistift nagte. Er brauchte wirklich den Kontakt.»
Vor allem die Träume seien Endes Welt gewesen. «Träume sind das, was sich durch sein Werk zieht. Dass der Mensch Träume braucht, dass er ohne Träume nicht leben kann.» Ende selber habe davon geträumt, die Bilder seines Vaters in Sprache umzusetzen. Gleichzeitig aber sei er bei der Arbeit sehr professionell gewesen. «Er war so unkompliziert. Wenn ich ihn mal anrief, schrieb er mir in der Sekunde einen Reim in die Melodie. »Er sei ein Nachfahre der deutschen Romantiker, hatte Ende sich einmal selber in einem Interview beschrieben. Novalis war sein großer Lehrmeister. Genau diese Verträumtheit warfen ihm Kritiker allerdings auch vor und meinten, seine Geschichten seien zu belehrend und «weltverbesserisch». Wie viele fantastische Gestalten und Welten seinen Lesern vorenthalten blieben, als Ende mit 65 Jahren an Magenkrebs starb, wird die reale Welt nicht mehr erfahren. Sein Freund Hiller vermutet, dass es viele sind: «Michael sprudelte bis zuletzt, bis zu seinem Tod. Er ist viel zu früh gestorben.»
«Die unendliche Geschichte» ist das wohl bekannteste Buch von Michael Ende. Seit ihrem Erscheinen 1979 hat die fantastische Erzählung eine Millionenauflage erreicht, wurde in mehrere Sprachen übersetzt und hat vor allem bei Erwachsenen eine Art Kultstatus erreicht. Bis heute erscheinen Lexika zum Buch und illustrierte Neuauflagen. Es handelt von dem Jungen Bastian, der von seinen Klassenkameraden regelmäßig gehänselt wird. Eines Tages entdeckt er in einem Antiquariat ein Buch mit dem Titel «Die unendliche Geschichte». Er stiehlt es und versteckt sich damit auf dem Dachboden seiner Schule. Er beginnt zu lesen und wird immer tiefer in eine fantastische Welt hineingezogen, in der der junge Held Atréju versucht, das Märchenreich Phantásien und seine Kaiserin zu retten. Denn das Land wird von einer umheimlichen Leere verschlungen. Dabei begegnen Bastian Glücksdrachen, Steinbeißer und viele andere Fabelwesen.
1984 verfilmte Regisseur Wolfgang Petersen («Das Boot») das Buch und brach dabei für die Zeit mehrere Rekorde: 60 Millionen Mark betrug das damals für einen deutschen Film einmalige Budget, 300 Kopien gingen in die deutschen Kinos, zahlreiche Spezialeffekte waren neu entwickelt worden. Der Film war auch in den USA sehr erfolgreich. Michael Ende selber distanzierte sich jedoch von dem Streifen und bezeichnete ihn als ein «gigantisches Melodram aus Kitsch, Kommerz, Plüsch und Plastik».
© Britta Gürke, dpa