Yu Huas wilde Groteske über China
Books | Posted 25/08/2009 | Belletristik | Keine Kommentare »
Frankfurt/Main (dpa) – Der Sprung von der Kulturrevolution, in der jeder Besitz verpönt war, zu einer von Profitgier getriebenen globalen Industriemacht war gewaltig. Die Chinesen hätten in 40 Jahren das erlebt, wofür der Westen 400 Jahre gebraucht habe, meint der Pekinger Schriftsteller Yu Hua.
Bei solchen Umwälzungen muss es in einer Gesellschaft zwangsläufig zu dramatischen Brüchen und Konflikten kommen. In seinem Roman «Brüder» hat Yu hat daraus eine schwarze Komödie gemacht, gespickt voller verrückter Einfälle.
Geschildert wird in dem Roman die Geschichte zweier ungleicher Halbbrüder, die in einer Kleinstadt aufwachsen. Schon früh werden sie zu Waisen, da sie in der Kulturrevolution auf brutale Weise ihre Eltern verlieren. Ein Trauma, mit dem die beiden unterschiedlich fertig werden. Der rüpelhafte Li wird nach der wirtschaftlichen Öffnung des Landes zum clever-gerissenen Geschäftsmann, der sich mit Müll und Lumpen ein Vermögen aufbaut.
Sein sensibler und zurückhaltender Bruder Song kriegt zwar das schönste Mädchen der Stadt ab, kommt aber beruflich nach dem Verlust seines Arbeitsplatzes in der Fabrik nicht mehr auf die Beine. Schließlich verkauft er seine eigene Ehre: Er lässt sich seine Brust vergrößern, um im kapitalistischen China mit seiner hemmungslosen Konsumwut den Landfrauen ein Gel anzudrehen, das Busen praller macht. Seine Frau verfällt nach zwanzig Jahren Ehe dennoch seinem sexbesessenen Bruder Li. Dieser kommt erst zur Besinnung, als sich Song das Leben nimmt.
Der von Ulrich Kautz trefflich übersetzte Roman ist eine wilde und auch unterhaltsame Groteske, in der es ziemlich derb zugeht. Yu, der mit Büchern wie «Leben» (1998) und «Der Mann, der sein Blut verkaufte» (2000) zu den international renommiertesten Autoren Chinas zählt, steht stilistisch dem Schelmenroman nahe. Diese Erzählweise setzt aber sowohl der Vielschichtigkeit seiner Figuren sowie dem Tiefgang des Romans Grenzen. Angesichts der zahllosen komischen Anekdoten verlieren die bedrückenden Momente der Saga an Kraft – dies gilt nicht nur für die Schilderung der Grausamkeiten während der Kulturrevolution.
Den Nerv der chinesischen Leser hat Yu jedenfalls getroffen. Der im Jahr 2005 in China veröffentlichte Roman wurde mit einer Auflage von 1,5 Millionen zum Bestseller. Und die Zensur hat die bissige Satire ohne Probleme passieren lassen. Yu, der zu den schärfsten Kritikern von Geldgier und Korruption im kommunistischen Machtapparat gehört, wird zur Frankfurter Buchmesse im Oktober kommen. China ist Ehrengast. Und Yu sogar Mitglied der offiziellen chinesischen Autoren-Delegation – eine weitere ironische Pointe über chinesische Widersprüche.
768 Seiten