Zote bringt Quote

Petra Bohm | Posted 01/09/2009 | Uncategorized | Keine Kommentare »

Michael Jürgs stehen beim Fernsehgucken manchmal die Haare zu Berge. Über das Grausen, das ihn dann packt, hat er sein jüngstes Buch «Seichtgebiete – Warum wir hemmungslos verblöden» geschrieben…

Michael Jürgs ist kein Freund von vorsichtigen Thesen. Sein Motto lautet eher «wenn schon, denn schon». Das gilt mehr als je zuvor für sein jüngstes Buch «Seichtgebiete – Warum wir hemmungslos verblöden». Es ist eine Abrechnung mit denjenigen, die der Publizist und ehemalige «Stern»-Chefredakteur für einige der weniger lustigen Seiten unserer Spaßgesellschaft verantwortlich macht. Und das sind nach seiner Überzeugung nicht zuletzt die Medien oder zumindest Teile von ihnen, der ein oder andere private Fernsehsender zum Beispiel. «Blödmacher» nennt er sie abschätzig.

Jürgs ist ein Klartexter. Als Autor hat er schon oft bewiesen, dass klug und unterhaltsam zu schreiben kein Widerspruch sein muss. Das gilt auch in diesem Fall. Hinzu kommt diesmal, dass manche treffende Formulierung auch ausgesprochen böse ist. Denn Jürgs ist erkennbar wütend. Sein Zorn gilt beispielsweise denen, die bei Fernsehsendern das Sagen haben und dabei auf «Zoten und Quoten» setzen.

Seit das Privatfernsehen vor 25 Jahren in Deutschland zu senden begann, tritt Qualität nach Jürgs Überzeugung in den Hintergrund. «Mittlerweile ist eine ganze Generation von Deutschen aufgewachsen mit Tutti-Frutti-TV. Das konnte nicht ohne Folgen für den Verstand bleiben», klagt der Autor. Beispiele für Formate, von denen er befürchtet, sie könnten der Verblödung Vorschub leisten, nennt er etliche.

Jürgs befürchtet, die Zahl der Verblödeten sei «höher denn je». Nur eine Minderheit der Blöden kommt bereits blöd auf die Welt. Schuld daran, dass sie es werden, ist für Jürgs das Aufwachsen mit «TV-Fastfood» und die Tatsache, dass sie keine geistige Nahrung bekommen und in einem Zuhause groß werden, in dem es keine anderen Bücher gibt «außer denen von Bohlen, Barth, Bushido & Co».

Literatur wie dieser traut Jürgs nur Schlimmes zu: Die Werke solcher «Ikonen der versendeten Blödformate» seien mitverantwortlich für «Verblödung und Verrohung». Kein Produzent von Büchern wie denen von Bruce Darnell, Dieter Bohlen oder Bärbel Schäfer frage, «was da wohl drinstehen mag oder in welcher dem Deutschen ähnlichen Sprache die geschrieben sein könnten».

Dass solche Titel Verkaufsschlager werden, verzerre das Bild der Bestsellerlisten für Literatur. Jürgs plädiert deshalb dafür, sie künftig in eigenen Listen zu führen. Eine sollte es ausschließlich für Literatur geben, die diesen Namen verdient, eine zweite für Favoriten des Massengeschmacks: Bücher wie die von Stephenie Meyer, Charlotte Roche oder Ildiko von Kürthy hätten dort nach Jürgs Einschätzung ebenfalls ihren Platz.

Blödmacher gibt es nach Jürgs Einschätzung viele. Etliche sind berühmt und erfolgreich. Dieter Bohlen hält er zumindest zugute, dass der im Rahmen seiner Möglichkeiten alles tue, um die Seichtgebiete trockenzulegen. Als Exekutor entsprechender Talentsuche-Shows mache er die Blöden fertig, deren Begabung «allenfalls für einen Gröl-Chor der mal wieder Betrunkenen im Familienkreis» reicht. Mario Barth hält Jürgs dagegen für «vermutlich wirklich so simpel wie seine Fans»: «Weil seine Scherze von Übel sind, hat er ein großes Publikum. Was bereits durchschnittlich intelligente Menschen fassungslos aufschreien lässt, finden Blöde, die er um sich schart, zum Schreien komisch.»

Michael Jürgs will zuspitzen statt differenzieren. Er zeichnet manches schwarz-weiß, wo es auch Zwischentöne gibt, und vieles einfach nur schwarz. Manchmal überrascht, was ihm so alles aufstößt: die mangelnde kulturelle Bildung von Parlamentariern genauso wie das unhöfliche Telefonieren mit dem Handy im Restaurant oder Zug. Seine Analysen sind erbarmungslos. Sein Buch ist, gerade durch seinen aggressiv-unversöhnlichen Ton, so unterhaltsam wie lesenswert. Wenn diejenigen, die sich angegriffen fühlen, ins Nachdenken kommen, hätte Jürgs schon einiges erreicht.
© Andreas Heimann/ dpa

Interview mit dem Autor
Haben Sie für Ihr Buch eigentlich intensiv vor dem Fernseher recherchiert?

Jürgs: «Es war wochenlang die Hölle. Ich musste mir ansehen, was ich sonst noch nie gesehen habe. Einige Programme waren darunter, von denen ich gar nicht wusste, dass es sie gibt. Und viele Sachen, wo ich sage, das gucke ich mir auch nie wieder an.»

Fernsehen macht also blöd?

Jürgs: «Das Risiko ist groß, aber es muss nicht so sein. Es gibt unheimlich spannende Sendungen zum Beispiel auf Phönix. Aber das muss man dann nach Mitternacht gucken. Die Frage ist: Wie kriege ich die Leute dazu, sich was Intelligentes anzusehen? Da ist bei den Sendern Mut, Intelligenz und Fantasie gefragt, und daran fehlt es meistens.»

Wen soll Ihr Buch erreichen?

Jürgs: «Das Buch ist eine Streitschrift, die sich an möglichst viele richtet, an alle, die das Gefühl haben, da stimmt etwas nicht. Ich glaube nicht, dass diejenigen, die es lesen, morgen Revolution machen. Aber vielleicht überlegen sich die Verantwortlichen in den Medien, ob ich Recht haben könnte. Das wäre ja schon was.»

Überschätzen Sie den Einfluss des Fernsehens nicht, gerade im Vergleich zum Internet?

Jürgs: «Die herrschende Elite ist durch das Fernsehen geprägt. Und beim Fernsehen sehen wir: Das Niveau hat sich gesenkt. Das Internet ist noch zu jung. Da lässt sich noch nicht beurteilen, welche Folgen das langfristig haben wird.»

Was haben Sie eigentlich gegen Mario Barth?

Jürgs: «Barth ist symptomatisch für diese Entwicklung. Er ist der König der Blödmacher. Er gehört zu denen, die uns für noch blöder halten, als wir sind. Da ist für mich Schluss.»

Wozu wünschen Sie sich mehr kulturelle Bildung für Politiker?

Jürgs: «Politik ohne Kultur ist keine Politik für Menschen. Ich prügle nicht auf Politiker ein, die meisten arbeiten hart und ernsthaft. Aber viele von ihnen sollten lieber öfter ein Buch lesen, als eins zu schreiben. Und statt zu Empfängen und Events sollten sie lieber ins Theater gehen und ein Stück ansehen, das für die Politik bedeutend wäre. Oder ins Kino und Filme wie «Das Leben der anderen» gucken oder von mir aus auch eine Oper wie «Fidelio» und begreifen, was Freiheit bedeutet.»

Interview: Andreas Heimann, dpa

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