Die Ängstlichen von Peter Henning

Petra Bohm | Posted 13/10/2009 | Belletristik | Keine Kommentare »

Beklemmender Alltag in einem Roman über deutsche Gegenwart in der Heimatstadt des Autors, Hanau…

Wortgewaltig beginnt Peter Hennings Roman mit der Beschreibung sintflutartiger Regenfälle, die über Taunus und Rhön niedergehen. Sie sind Vorboten eines Orkans, der die Familie Jansen mit aller Zerstörungskraft trifft. Dabei geht es weniger um das Unwetter, sondern um den Umbruch im Leben der “Ängstlichen” und so durchziehen die Wetternachrichten den Roman symbolhaft und sorgen gekonnt immer wieder für eine beklemmende Stimmung, ebenso wie die ziemlich boshafte Beschreibung der Stadt Hanau.

«Die Brüder-Grimm-Stadt drohte an ihrer selbstgemachten Spießbürgerlichkeit genauso langsam und qualvoll zu ersticken wie die beiden Stechpalmen auf dem Fensterbrett der in die Jahre gekommenen Vorzimmerdame des Bürgermeisters

Beklemmend ist auch die Situation von Johanna, der 78jährigen Patriarchin der Familie Jansen, die im Zentrum des Romans steht. Mit ihren drei Kindern und vier Enkeln verkehrt sie nur noch telefonisch. Einmal möchte sie ihre Kinder noch um sich versammeln, um ihnen eine wichtige Mitteilung zu machen.

Aber ausgerechnet jetzt, wo sie sich entschlossen hat, dem Schicksal vorzugreifen und einen einsamen Lebensabend in ihrer Wohnung in der Ankergasse durch den Umzug in ein Seniorenstift zu vermeiden, verschwindet ihr Lebensgefährte Janek. Dieser hat neunzigtausend Euro Spielschulden angehäuft und ist auf der Flucht vor seinen Gläubigern. In seiner Not wendet er sich an Johannas an Panikattacken leidenden Enkel Ben, einen erfolglosen Sportjournalisten, für den er eine Art Ersatzvater darstellt. Janeks Wunsch nach Rettung aus der Geldklemme ist Ben Befehl und er ist dafür sogar bereit, seine halbwegs intakte Beziehung zu der Bankangestellten Iris aufs Spiel zu setzen und damit auch das eigene Lebensglück. Bens echter Vater Helmut wiederum ist ein höchst unsympathisches, hypochondrisches Ekelpaket…

Und damit geht die unangenehme Beschreibung der sieben Hauptprotagonisten erst los, denn Hennings Sittengemälde kommt ohne eine einzige sympathische Identifikationsfigur daher. In raffinierten Schwenks des allwissenden Erzählers auf die verschiedenen, synchronen Handlungsorte, gerät jeder von ihnen in seine persönliche Katastrophe.

Spießbürger Helmut, alternder Tennislehrer, entdeckt Blut in seinem Urin und wittert sofort einen nahenden Krebstod. Seine Schwester Ulrike führt einen eskalierenden, völlig abstrusen Vernichtungskampf gegen ihren Gatten Rainer, den sie – nicht zu unrecht – des Ehebruches verdächtigt. Nach vielen Jahren des Scheinfriedens bricht der Hass aus ihr heraus, und mit hinterhältiger Raffinesse treibt sie den abstoßenden Machotyp gen Abgrund…

Den hatte Johannas drittes Kind Konrad bereits vor Jahren erreicht, als dieser nach Ausbruch einer Schizophrenie in die Psychatrie eingewiesen wurde und seitdem dort unter medikamentöser Betäubung vor sich hindämmert. In einem lichten Moment bricht er aus der Klinik aus und landet nach einem mißglückten Sprung aus dem Fenster schließlich schwer verletzt im Krankenhausbett…

Gruselig und dabei fesselnd bis zum bitteren Ende des Romans. Nicht nur Starautor Daniel Kehlmann fragt sich in der FAS, warum dieses Werk nicht den Sprung auf die Longlist des Deutschen Buchpreises geschafft hat.

Peter Henning hat das Porträt einer zutiefst verunsicherten Familie geschaffen, gnadenlos, hochanalytisch und hyperrealistisch”
Felicitas von Lovenberg, FAZ

Peter Henning, geboren 1959 in Hanau, arbeitet seit über 20 Jahren als Journalist für verschiedene deutsche und Schweizer Zeitungen, Magazine und Rundfunkanstalten. Er hat Romane und Erzählungen publiziert, die verschiedentlich ausgezeichnet worden sind und gleichermaßen von Kritik wie Schriftstellerkollegen Lob ernteten. »Die Ängstlichen« ist sein Hauptwerk, an dem er über fünf Jahre geschrieben hat.

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