Sachbuchautoren fragen nach ökonomischer Zukunft Deutschlands
Petra Bohm | Posted 05/10/2009 | Dossier/Akten | Keine Kommentare »
Die kritische Weltwirtschaftslage und kollabierende Finanzmärkte beschäftigen in diesem Herbst zahlreiche Sachbuchautoren…
Dabei stehen Fragen der Moral der Banker und der ökonomischen Zukunft im Mittelpunkt. Daneben warten kompetente Analysen zur Zukunft der Demokratie und internationalen Politik auf ihre Leser. Wer es eher unterhaltsam möchte, kommt ebenso auf seine Kosten: Etliche Künstler-Biografien, kulturgeschichtliche Texte und Geschichtsbücher bieten reichlich Abwechslung.
Die «Aufrichtigkeit im Kapitalismus» – so der Untertitel – stellt Wolfgang Engler in seinem Buch «Lüge als Prinzip» infrage. Er führt aus, wie Treu und Glauben vom Eigennutz der Marktteilnehmer als Garant des Gemeinwohls verdrängt wurden, und warnt davor, heute, in Zeiten harter Existenzkämpfe, den sozialen Zusammenhalt der Bürger aufs Spiel zu setzen. Eine bitterböse Insider-Analyse hat Katharina Weinberger mit «Kopfzahl-Paranoia. Von der Selbstzerstörung der Konzerne» vorgelegt: Nach ihrer Ansicht manövrieren die Wirtschaftsbosse ihre Unternehmen kurzsichtig in die Sackgasse. Börsennotierte Konzerne ordneten dem oberstes Ziel – einem satten Quartalsergebnis – Investitionen in die Zukunft unter, wobei Kunden, Mitarbeiter und Lieferanten das Nachsehen hätten.
{cms:image:4}Auch Gerhart Baum, früher Innenminister und heute Autor des Buches «Abkassiert» prangert «die skandalösen Methoden der Finanzbranche» an. Er erinnert daran, dass fast jede zweite Familie in Deutschland Teile ihres Vermögens verloren hat, weil sie den falschen Versprechungen der Finanzdienstleister geglaubt hatte. Gemeinsam mit erfahrenen Verbraucheranwälten deckt Baum die Geschäftsmethoden der Branche und ihre Verflechtung mit der Politik auf. Mehr Transparenz der Märkte und Verlässlichkeit der Banker fordert Norbert Walter in seinem Buch «Marktwirtschaft und Moral». Er legt dar, «wie Werte das Vertrauen in die Ökonomie stärken» könnten. Insbesondere müsse eine ethische Grundeinstellung für die Wirtschaft ebenso gelten wie für das gesellschaftliche Zusammenleben generell.
Hinter dem Kollaps der Finanzmärkte standen nach Ansicht von Max Otte Desinformationen in gigantischem Ausmaß. Seine Analyse «Der Informationscrash» versucht nachzuweisen, «wie wir systematisch für dumm verkauft werden». Nicht nur die Wirtschaft, auch Politik und Medien arbeiteten bewusst mit einer Informationsflut, mit häufigen Themenwechseln, oft auch Fehlinformationen. Otte führt aus, wie die Bürger ihre Souveränität über die Informationen zurückgewinnen können.
Zum Thema passt auch die umfangreiche Familien- und Unternehmensbiografie «Flick. Der Konzern – Die Familie – Die Macht», die mehrere Zeithistoriker, unter ihnen Norbert Frei, geschrieben haben. Kein Name verkörpere das Drama der deutschen Wirtschaft besser als der dieser Industriellendynastie, meinen die Autoren. Unter vier politischen Systemen, vom späten Kaiserreich über die Weimarer Republik und das Dritte Reich bis in die Bundesrepublik, sei der Konzern erfolgreich gewesen und schließlich dennoch auf ganzer Linie gescheitert.
{cms:image:2}Vor den Auswirkungen der Krisen im Finanz-, Klima- und Energiebereich auf die deutsche Demokratie warnen Claus Leggewie und Harald Welzer in ihrem Werk «Das Ende der Welt, wie wir sie kannten». Die aktuellen Probleme gefährdeten die Zukunft der kommenden Generationen und enthielten erheblichen sozialen Sprengstoff, meinen die Sozialforscher. Um die Freiheit und die bürgerlichen Rechte in Deutschland sorgen sich die bekannten Autoren Ilija Trojanow und Juli Zeh in ihrem gemeinsam verfassten Essay «Angriff auf die Freiheit». Sie prangern vor allem Sicherheitswahn und Überwachungsstaat an und fordern ihre Leser auf, sich gegen einen autoritären Staat, der jeden Protest im Keim erstickt, zu wehren.
Den umstrittenen deutschen Militäreinsatz in Afghanistan hat die Bundeswehrärztin Heike Groos unmittelbar erlebt. Ihr erschütternder Bericht «Ein schöner Tag zum Sterben» konfrontiert die Leser mit der erbarmungslosen Realität des Krieges, dem sich die Bundeswehrsoldaten und Ärzte ausgesetzt sehen, die im Glauben an den humanitären Charakter ihres Einsatzes an den Hindukusch gekommen waren.
Ermutigend liest sich dagegen Manfred Henningsens Buch vom «Mythos Amerika». Der ausgewiesene Experte führt darin aus, wie wichtig es ist, dass das überlebte und fatale Selbstbild der USA als auserwählte Macht überwunden wird. In seiner kritischen Bestandsaufnahme weist der auf Hawaii lehrende Politologe dem neuen Präsidenten Barack Obama eine entscheidende Rolle beim Abbau sozialer Schranken und ethnischer Ungleichbehandlung zu.
Einen Ausflug in die Klassik unternimmt Rüdiger Safranksi, ein Spezialist für Monografien berühmter Philosophen und Literaten. Sein neuestes Buch widmet sich im Jahr von Friedrich Schillers 250. Geburtstag dem zunächst gespaltenen, dann aber innigen Verhältnis des Dichters zu seinem Geniekollegen Goethe. «Goethe & Schiller. Geschichte einer Freundschaft» erzählt, wie Safranski schreibt, von der Beziehung «zweier schöpferischer Menschen höchsten Ranges», die in der Geschichte des Geistes ihresgleichen sucht.
Der Süden weckt in Mitteleuropäern Sehnsucht nach Sonne, für die alten Römer hingegen bedeutete er eine Region voller Lebensfeindlichkeit, und im biblischen Verständnis bevölkern die Nachkommen des missratenen Noah die südliche Hemisphäre. Dieter Richter eröffnet in seinem reich bebilderten Buch «Der Süden. Geschichte einer Himmelsrichtung» vielfältige, auch ungewohnte Perspektiven, indem er zahlreiche bekannte und unbekannte Quellen auswertet.
Dem nach wie vor ungebrochenen Interesse an Biografien wird in vielfältiger Weise Rechnung getragen. Neben einer Reihe politischer Lebensgeschichten widmet sich Eva Gesine Baur in ihrem Buch «Chopin oder Die Sehnsucht» der Vita des großen Komponisten, wobei sie die Widersprüchlichkeit in der Persönlichkeit des Romantikers hervorhebt.
{cms:image:3}Mit der Auswertung neuer Quellen und einem erfrischend anderen Blick auf sein Objekt ist dem Psychoanalytiker und Autor Stephen Weissman das fesselnde Psychogramm des Mannes gelungen, der Millionen Menschen zum Lachen brachte: «Chaplin. Eine Biografie» handelt von dem wohl berühmtesten Komiker des 20. Jahrhunderts.
Unter den historischen Biografien ragt Ulf Schmidts Analyse von «Medizin und Macht im Dritten Reich» heraus. Mit «Hitlers Arzt Karl Brandt» hat er sich ein bisher erstaunlich wenig beachtetes Mitglied jenes inneren Zirkels vorgenommen, mit dem sich Hitler umgab. Er schildert, wie sich ein kultivierter und intelligenter Mediziner den Nazi-Prinzipien so sehr verschreiben konnte, dass er bis zu seiner Hinrichtung fest von der Richtigkeit seiner Untaten überzeugt war.
© Susanna Gilbert-Sättele/dpa
Gerhart Baum u.a.
Abkassiert. Die skandalösen Methoden der Finanzbranche
Rowohlt Verlag
ISBN 978-3-4980-0662-4
Eva Gesine Baur
Chopin oder Die Sehnsucht
Beck Verlag
ISBN 978-3-4065-9056-6
Wolfgang Engler
Lüge als Prinzip. Aufrichtigkeit im Kapitalismus
Aufbau Verlag
ISBN 978-3-3510-2709-4
Norbert Frei u.a.
Flick. Der Konzern – Die Familie – Die Macht
Blessing Verlag
ISBN 978-3-8966-7400-5
Heike Groos
Ein schöner Tag zum Sterben. Als Bundeswehrärztin in Afghanistan
Krüger Verlag
ISBN 978-3-8105-0877-5
Manfred Henningsen
Der Mythos Amerika
Eichborn Verlag
ISBN 978-3-8218-4595-1
Claus Leggewie/ Harald Welzer
Das Ende der Welt, wie wir sie kannten. Klima, Zukunft und die Chancen der Demokratie
Fischer Verlag
ISBN 978-3-1004-3311-4
Max Otte
Der Informationscrash. Wie wir systematisch für dumm verkauft werden
Econ Verlag
ISBN 978-3-4302-0078-3
Dieter Richter
Der Süden. Geschichte einer Himmelsrichtung
Wagenbach Verlag
ISBN 978-3-8031-3631-2
Rüdiger Safranski
Goethe & Schiller. Geschichte einer Freundschaft
Hanser Verlag
ISBN 978-3-4462-3326-3
Ulf Schmidt
Karl Brandt. Hitlers Arzt. Medizin und Macht im Dritten Reich
Aufbau Verlag
ISBN 978-3-3510-2671-4
Ilija Trojanow/ Juli Zeh
Angriff auf die Freiheit. Sicherheitswahn, Überwachungsstaat und der Abbau bürgerlicher Rechte
Hanser Verlag
ISBN 978-3-4462-3418-5
Norbert Walter
Marktwirtschaft und Moral
Berlin University Press
ISBN 978-3-9404-3259-9
Katharina Weinberger
Kopfzahl-Paranoia. Von der Selbstzerstörung der Konzerne. Eine Insider-Analyse Deutscher Taschenbuch-Verlag
ISBN 978-3-4232-4763-4
Stephen Weissman
Chaplin. Eine Biografie
Aufbau Verlag
ISBN 978-3-3510-2708-7