«Letzte Liebe» von Dorothea Razumovsky

Petra Bohm | Posted 06/11/2009 | Belletristik | Keine Kommentare »

Eine Seniorin mit Lebenshunger und Wissensdurst…

Mit dem Thema Alter verbinden viele Vorstellungen von Einsamkeit, Schmerzen und dahin siechenden Heimbewohnern mit leerem Blick und ohne Zukunft. Nicht so Dorothea Razumovsky: Sie hat ihre greise Heldin mit Witz, Neugier, Disziplin und Courage ausgestattet und mit einer «Letzten Liebe» belohnt, die ganz anders aussieht, als die Leser zunächst vermuten könnten. Die ermunternde Botschaft des kleinen charmanten Romans, dass Lebenshunger und Wissensdurst keine Frage des Alters sein müssen, ist Balsam auf geschundene Leserseelen, die sonst eher deprimierende Bücher über den letzten Lebensabschnitt gewohnt sind.

Mit leichter Hand nähert sich Razumovsky einem schweren Thema, und sie weiß, wovon sie schreibt, engagiert sich die Journalistin und Sachbuchautorin selbst schon viele Jahre für Senioren, Migranten und andere Menschen am Rande einer Gesellschaft im Jugend- und Leistungswahn.

Selbstmitleid ist für die Ich-Erzählerin, eine betagte und leicht tüttelige Professorenwitwe, ein Fremdwort. Deshalb ergibt sie sich auch nicht dem Jammer, als ihre Stieftochter, «das Biest», samt ihrem Lebensabschnittsgefährten alles daran setzt, die alte Dame aus dem Haus zu schikanieren. Kurzerhand nimmt die Greisin ihr Schicksal selbst in die Hand und zieht in eine kleine Wohnung eines Seniorenheims, mit Hund Cora, und nicht ohne noch vorher schnell das nagelneue Notebook des, wie sie findet, «miesen Kerls» mitgehen zu lassen. Im Stift geht sie den Pflegefällen, dem Personal und auch einem noch sehr attraktiven Herrn mit silbergrauem Haar und perfekten Manieren aus dem Weg.

Dafür schließt sie Freundschaft mit dem 16 Jahre alten Spätaussiedler Wowa, der ihr trotz seines Umgangs mit Rowdys, seiner undurchsichtigen Familienverhältnisse, des vernarbten linken Unterarms und seiner partiellen Unzuverlässigkeit ans Herz wächst. Wowa geht mit Cora Gassi, führt die alte Dame in die Geheimnisse des Internet ein, bringt ihr gestohlenes E-Mobile zurück. Als der Junge plötzlich spurlos verschwindet, setzt die alte Dame alle Hebel in Bewegung, ihn zu finden. Denn an die Beruhigungsfloskeln der von ihr alarmierten Polizei, dass der junge Mann schon bald wieder auftauchen werde, kann sie nicht so recht glauben. Mit List und Tücke bekommt sie am Ende heraus, wo Wowa steckt – und entdeckt dabei, dass eine neue, große Aufgabe auf sie wartet.

Die originelle und geschickt aufgebaute Geschichte erzählt Razumovsky mit distanzierter Ironie und Sachverstand. Sie setzt ihre Hauptfigur nicht als «schrullige Alte» der Schadenfreude des Publikums aus, sondern zeichnet sie sehr realistisch als eine alte Frau mit Charme, Ängsten und Macken, die sich selbst nicht so schrecklich ernst nimmt. «Du wirst nicht merken, wie du deine Kleider bekleckerst», so denkt sie einmal über ihre eigene Zukunft nach, «du wirst vergessen, deine Haare zu bürsten, deine Zähne zu reinigen oder sie überhaupt anzuziehen, du wirst stinken.» Doch dieser Gedanke «beunruhigt mich nicht.» Ab und zu gerät ihr Monolog zum Dialog mit ihrem toten Gatten, den sie einst nicht aus Liebe, sondern mit der Aussicht auf «eine gut honorierte Dauerstellung mit Kündigungsschutz in gehobener sozialer Position an der Seite eines Mannes» geehelicht hatte.

In Razumovskys Roman-Debüt fließen offensichtlich ihre umfangreichen Kenntnisse von der Philosophie bis zur Sozialarbeit ein, ohne den Eindruck zu hinterlassen, hier wolle eine ihre Leser belehren. Weit entfernt von der Larmoyanz und den Jetzt-geht’s-erst- richtig-los!-Parolen anderer Bücher über das Alter weist Razumovsky ganz nebenbei den Weg in ein gutes Leben bis zum Schluss.
© Susanna Gilbert-Sättele/dpa

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