Friedrich Schiller – Ein Leben wie ein Drama
Petra Bohm | Posted 05/11/2009 | Dossier/Akten | Keine Kommentare »
Friedrich Schiller, am 10. November 1759 als Sohn eines Offiziers im Marbach am Neckar geboren, fasziniert und provoziert bis heute…
In nur 45 Lebensjahren hat er Werke wie «Die Räuber», «Wilhelm Tell» und «Wallenstein» sowie Balladen wie «Die Bürgschaft» geschrieben, deren Themen Freiheit des Individuums und Heldentum noch immer fesseln. Bei seiner Krankheitsgeschichte erscheint dies wie ein Triumph des Geistes über den schwächelnden Körper. Selbst nach seinem Tod gibt er Rätsel auf: Niemand weiß, wo seine Gebeine liegen.
Freiheitsliebend und rebellisch wie seine Figuren ist der einzige Junge unter fünf Schwestern. Bereits 1773 muss der damals 13-Jährige auf Befehl des Herzogs Karl Eugen in die Militärakademie bei Stuttgart eintreten. Wohl wegen des militärischen Drills ist der junge Schiller lange Zeit Bettnässer. In der Akademie studiert er erst Jura, dann Medizin und macht seinen Doktor. Heimlich liest er Werke von Lessing, Goethe, Shakespeare und Rousseau und schreibt sein Theaterstück «Die Räuber». Um dessen Uraufführung 1782 zu sehen, reist er trotz Verbots des Herzogs zum Mannheimer Theater. Es folgt eine 14-tägige Arreststrafe und das Verbot, Komödien und «dergleichen Zeugs» zu schreiben.
Nicht zuletzt deshalb flieht Schiller mit seinem Freund Andreas Streicher. Der Weg führt ihn über Mannheim und Frankfurt am Main bis ins thüringische Bauerbach. Unter dem Namen Dr. Ritter findet er auf dem Gut von Henriette von Wolzogen Asyl und vollendet das Stück «Luise Millerin», das später als «Kabale und Liebe» bekannt wird. Außerdem beginnt er mit «Don Carlos».
1783 kehrt er nach Mannheim zurück und wird für ein Jahr Theaterdichter. In dieser Zeit erkrankt er im sumpfigen Rheintal an Malaria. Hoch verschuldet siedelt er nach seiner Entlassung erst nach Leipzig, dann nach Dresden über, wo er die «Ode an die Freude» verfasst.
{cms:image:2}Nach Weimar verschlägt es ihn erstmals 1787. In der kleinen thüringischen Residenzstadt lernt er Herder und Wieland kennen und im benachbarten Rudolstadt Charlotte von Lengefeld, die er 1790 heiratet. Ein Jahr später trifft er zum ersten Mal Goethe. Der Dichterfürst hat Vorbehalte gegen den jungen Wilden, vermittelt ihm jedoch eine unbesoldete Professur für Philosophie in Jena. Schillers Antrittsvorlesung «Was heißt und zu welchem Ende studiert man Universalgeschichte?» löst Begeisterungsstürme unter den Studenten aus – und ist bis heute eine spannende Lektüre.
Die Spannungen zwischen den großen Dichtern lösen sich erst 1794, als Schiller Goethe um Mitarbeit bei der Zeitschrift «Die Horen» bittet. Mit einem Brief, in dem er den Wunsch äußert, sich trotz aller charakterlichen Unterschiede wechselseitig zu ergänzen, «knackt» er Goethe. «Lassen Sie uns doch unsere Zweyheit immer mehr in Einklang bringen» schreibt Goethe zurück. Von dem Arbeits- und Freundschaftsbündnis der beiden so unterschiedlichen Männer künden mehr als 1000 Briefe. Davon liegen 995 in Weimar – für Bernhard Fischer, Direktor des Goethe- und Schiller-Archivs, sind sie «das eigentliche Vermächtnis der Weimarer Klassik».
Schiller stirbt 9. Mai 1805 vermutlich an einer Lungenentzündung. Bis zuletzt arbeitet er am «Demetrius». Seine Schwägerin Caroline von Wolzogen berichtet über den Augenblick seines Todes, dass plötzlich so etwas wie ein elektrischer Schlag über seine Züge fuhr. Der Kopf sank zurück, und die vollkommenste Ruhe verklärte das Gesicht. Die Obduktion ergibt: Sein linker Lungenflügel ist völlig zerstört, die Nieren fast aufgelöst, der Herzmuskel zurückgebildet, Milz und Galle stark vergrößert. «Bei diesen Umständen muss man sich wundern, wie der arme Mann so lange hat leben können», heißt es im Bericht.
Schillers Gebeine werden im Weimarer Kassengewölbe, einem Massengrab für Adlige, beigesetzt. Als sie 1826 in die Fürstengruft überführt werden sollen, sind sie nicht zu identifizieren. Anhand der Totenmaske und des Gebisses wird in einem «Chaos von Moder und Fäulnis» das wahrscheinlichste Skelett herausgesucht. Goethe, vom Genius Schillers fasziniert, nimmt den Schädel heimlich mit nach Hause und bewahrt ihn im Arbeitszimmer auf. «Wie mich geheimnisvoll die Form entzückte! Die gottgedachte Spur, die sich erhalten», formuliert der greise Dichter in einem Gedicht.
Er himmelte jedoch den falschen Totenkopf an. Die moderne Wissenschaft löste im vergangenen Jahr den Zauber. DNA-Vergleiche mit Verwandten und Nachkommen Schillers ergaben eindeutig, dass Schädel und Knochen von verschiedenen Toten, jedoch nicht von Schiller stammen. «Wir wissen genau, wie der Schiller-Code aussehen muss, aber wir haben ihn nicht nachweisen können», bekennt die Anthropologin Ursula Wittwer-Backofen. Schillers Grab neben Goethe in der Weimarer Fürstengruft ist seit einem Jahr leer.
{cms:image:3}Schillers Geburtshaus in Marbach
Niklastorstraße 31 in Marbach lautet die Adresse heute. Vor 250 Jahren lebten in dem Fachwerkhäuschen die Schillers. In einer Wohnung im Erdgeschoss, besser gesagt: in einem Zimmer. Auf zwölf Quadratmetern. Marbach lebte vom Wein. Am 10. November kam Sohn Friedrich zur Welt. Mutter Elisabetha Dorothea schlug sich mit ihren zwei Kindern äußerst bescheiden alleine durch. Vater Johann Caspar, ein Wundarzt, war nach dem überraschenden Bankrott seines Schwiegervaters wieder zum Militär gegangen.
Kaum vier Jahre hat der kleine Friedrich Schiller hier gelebt. Als er 1805 in Weimar starb, war sein Geburtshaus im Schwäbischen vergessen. Erst Jahre später wurde es identifiziert. Ein Bäcker nutzte es. Später kaufte es der Schillerverein, eröffnete eine Gedenkstätte und begann, alles zu sammeln, was vom Schöpfer der «Räuber», «Wallenstein», «Kabale und Liebe» und «Wilhelm Tell» übrig geblieben war. So entstand der Grundstock für das spätere Schiller Nationalmuseum auf der Schillerhöhe Marbach.
Pünktlich zum Schillerjahr wurde das Haus herausgeputzt. An 30 Originalexponaten – vom Taufhäubchen bis zur unvermeidbaren Locke – werden die Lebensumstände in der Mitte des 18. Jahrhunderts nachgezeichnet, vor allem aber die Erinnerungsgeschichte. «Wir wollten hier keine Lebenswelt schaffen, sondern einen Ort des Gedenkens», betont Thomas Schmidt vom Deutschen Literaturarchiv. Das Haus selbst sei das erste Exponat.
© dpa
www.schillersgeburtshaus.de Niklastorstraße 31, 71672 Marbach
Deutsche überschätzen Schillers Bedeutung
Friedrich Schillers Bedeutung weltweit wird nach Ansicht des Tübinger Literaturwissenschaftlers Jürgen Wertheimer in Deutschland gar zu gerne überschätzt. Auch wenn man das im «Land der Dichter und Denker» nicht gerne höre, in der Literatur und an den Theatern der Welt sei der Nationaldichter «nicht sehr präsent», betonte Wertheimer kurz vor dem 250. Geburtstag Schillers (1759-1805) am 10. November im Gespräch mit der Deutschen Presse-Agentur dpa. Auf keinen Fall sei er etwa mit Shakespeare oder Molière zu vergleichen. Goethe oder Hölderlin hätten da schon einen anderen Ruf. Überlebt habe Schiller die Jahrhunderte allenfalls durch die Verdopplung mit Goethe in Weimar. «Das hat ein Bild hinterlassen.»
Schiller sei auch nie der große Idealist gewesen, sagte Wertheimer, als der er allzu oft dargestellt werde. Ein großer Autor sei er dennoch, jedoch vor allem deshalb, weil er die Ideologie vorführe. «In fast jedem seiner Stücke wird die Ideologie, das System, in Frage gestellt.» Wie kein Zweiter mache er die Verfahrensweisen der Gesellschaft in ihrer manipulativen Kraft transparent. Insofern sei Schiller heute aktuell wie eh und je. Viele seiner Figuren gingen hoffnungslos am System zugrunde. Schmerzvoll müssten sie erkennen, wie die Mechanismen der Moderne funktionieren.
Eingestehen muss der Wissenschaftler, dass sich Schiller samt seiner 200 Jahre alten Sprache nur schwer vermitteln lässt. «Qualvoll» werde da manche Schulstunde. «Da hat jeder schon mal gelitten.» Da werde «zwanghaft» mit verteilten Rollen gelesen, ohne den Schülern vorher die Chance zu geben, ein Gefühl für die Situation zu bekommen, in der etwa die «Räuber» oder ein «Wallenstein» spielen. «Man muss den Ernst der Lage begreifen, um erfassen zu können, worum es Schiller geht.»
Lehrern rät Wertheimer, ihren Schülern beim Einstieg mit einer guten Theateraufführung auf die Sprünge zu helfen dabei, Schiller zu begreifen. «Er war nun mal ein Theatermann.» Oder über einen Film, wie etwa den «Kabale und Liebe»-Film von Leander Haußmann. Auch Schiller selbst wäre nach Ansicht von Wertheimer heute wohl eher in den Medien zu suchen als im Theater. «Er wollte stets mit den Mittel der Kunst auf die Wahrnehmung der Menschen einwirken», sagte Wertheimer. Das Theater sei dafür längst zu wirkungslos – und auch die Literatur habe nicht mehr die Bedeutung von einst.
Gespräch: Roland Böhm/dpa
Berühmte Zitate von Friedrich Schiller
Eine Auswahl bekannter Zitate aus den Werken Friedrich Schillers:
«Die Axt im Haus erspart den Zimmermann» «Durch diese hohle Gasse muss er kommen» «Früh übt sich, wer ein Meister werden will» (Wilhelm Tell)
«Ein Augenblick gelebt im Paradies wird nicht zu teuer mit dem Tod gesühnt» (Don Carlos)
«Daran erkenn ich meine Pappenheimer» «Vor Tische las mans anders» «Schnell fertig ist die Jugend mit dem Wort» (Wallenstein)
«Dem Manne kann geholfen werden» (Die Räuber)
«Raum ist in der kleinsten Hütte für ein glücklich liebend Paar.» (Der Jüngling am Bache)
«Doch mit des Geschickes Mächten ist kein ewger Bund zu flechten» «Gefährlich ist’s, den Leu zu wecken,/ Verderblich ist des Tigers Zahn,/ Jedoch der schrecklichste der Schrecken,/ Das ist der Mensch in seinem Wahn» «Drum prüfe, wer sich ewig bindet, ob sich das Herz zum Herzen findet» (Lied von der Glocke)
«Ich sei, gewährt mir die Bitte, in eurem Bunde der Dritte!» (Die Bürgschaft)
«Mit der Dummheit kämpfen Götter selbst vergebens» (Die Jungfrau von Orléans)
{cms:image:4}Friedrich von Schiller (1759-1805) hat neben Gedichten und Dramen auch Erzählungen, historische Studien sowie philosophische und ästhetische Schriften verfasst. Außerdem übersetzte er wichtige Dramen, gab Werke anderer Autoren und Zeitschriften wie die «Horen» (1795-97) heraus.
Jahr der Veröffentlichung (VÖ)
Jahr der Uraufführung(UA)
Dramen: – Die Räuber (VÖ 1781, UA 1782) – Die Verschwörung des Fiesco zu Genua (VÖ/UA 1783) – Kabale und Liebe (VÖ/UA 1784) – Don Carlos (VÖ/UA 1787) – Wallenstein (UA 1798/99, VÖ 1800) – Shakespeares «Macbeth» (Übersetzung, VÖ 1800) – Maria Stuart (UA 1800, VÖ 1801) – Die Jungfrau von Orleans (VÖ/UA 1801) – Die Braut von Messina (VÖ/UA 1803) – Wilhelm Tell (VÖ/UA 1804)
Erzählende Werke: – Der Verbrecher aus verlorener Ehre (Erzählung, zunächst 1786 als «Verbrecher aus Infamie», 1792 unter dem neuen Titel) – Der Geisterseher (Romanfragment, 1787-89)
Historische Studien: – Geschichte des Abfalls der Vereinigten Niederlande (1788) – Was heißt und zu welchem Ende studiert man Universalgeschichte? (Antrittsvorlesung in Jena, 1789) – Geschichte des Dreißigjährigen Kriegs (1791-93)
Philosophische Schriften: – Über Anmut und Würde (1793) – Über die ästhetische Erziehung des Menschen (1795) – Über naive und sentimentalische Dichtung (1795-96)
Lyrik: – An die Freude (1785) – Die Götter Griechenlands (1788) – Xenien (mit Goethe – Epigramme, 1796) – Die Kraniche des Ibykus (1798) – Der Taucher (1798) – Die Bürgschaft (1798) – Das Lied von der Glocke (1799)
Werke Schillers als Volltext im Internet:
www.wissen-im-netz.info/literatur/schiller
http://gutenberg.spiegel.de/autoren/schiller.htm
Sämtliche Dramen
Friedrich Schiller
3491962366
978-3491962361
Albatros, 1324 S.