Schade um den schönen Sex
Petra Bohm | Posted 05/11/2009 | Belletristik | Keine Kommentare »
Der neue Borowiak: Schonungslos komisch und herrlich böse
Wenn zwei zutiefst Gestörte auf Reisen gehen, dann hat das unglaubliche Folgen: Man lacht sich schlapp und glücklich. So geht es zumindest jenen Lesern von Simon Borowiak, die seine Vorliebe für schwarzen Humor teilen. In seinem neuen Roman «Schade um den schönen Sex» lässt der Autor («Frau Rettich, die Czerni und ich») seinen Ich-Erzähler und dessen Freund Cromwell über Weihnachten an die italienische Küste fahren und mit anderen Bekloppten notgedrungen die Festtage verbringen. Vorsicht ist geboten: Das Buch ist böse und komisch. Eine schonungslose Attacke auf das Zwerchfell – dabei weise und voller bitterer Wahrheit.
Gestört sind sie wirklich, die beiden Junggesellen, die sich in vielem so ähnlich sind wie eineiige Zwillinge und daher in meist vollkommener Harmonie und geteilter Depression miteinander auskommen. Ihre Lieblingsbeschäftigung (schöner als ein Orgasmus) ist beispielsweise, sich als Gesunde in die Notaufnahme zu setzen, um sich am Leid anderer zu weiden. Ihr Verhältnis zum anderen Geschlecht allerdings ist diffiziler. Während der Erzähler schon Schaden als Jugendlicher nach langjähriger Liaison mit einer Lehrerin (der Duse) genommen hat und seitdem für eine neue Liebe unfähig zu sein scheint, verzettelt sich Cromwell in immer neue Liebschaften, aus denen er nur schwer wieder herauskommt und dann ewig leidet.
Den Weihnachtsurlaub haben die beiden der letzten Cromwell-Freundin zu verdanken, die sich kurz vorher wütend aus der Verbindung gelöst hat. Nun hängen Ich und Cromwell in einem abgewrackten italienischen Hotel fest und versuchen mehr oder weniger erfolglos den einzigen anderen Hausgästen, einem pseudo-intellektuell-künstlerischen Ehepaar mit 13-jähriger Tochter, zu entkommen. Den Kreis der Protagonisten schließen die beiden Inhaber des Hotels – zwei zerstrittene Cousins, von denen der eine schwul und auf gleicher Wellenlänge mit den Hauptakteuren, der andere hingegen dick und doof ist.
Eigentlich passiert nicht viel auf der Reise, außer vielleicht, dass Ich sich mit Hilfe des schwulen Cousins die Duse austreiben lassen will – ein Exorzismus der besonderen Art. Und Cromwell rutscht wieder einmal in ein Gefühlschaos, das das bisher ungetrübte Verhältnis zwischen den Freunden auf eine harte Bewährungsprobe stellt. Was aber vor allem antreibt, das Buch in einem Ritt von der ersten bis zur letzten Zeile zu lesen, sind die hanebüchenen Gedanken und Sprüche der beiden.
Borowiak lässt ein Feuerwerk an boshafter Intelligenz ab, dass das Hirn zu dampfen anfängt. Seine Sprache ist zum Niederknien, seine Wortschöpfungen von wissenschaftlichem Esprit: «Diese Frau (dpa: Teil des Ehepaars im besagten Hotel) war wirklich der Beweis für eine konter-evolutionäre Entwicklung: die Intelligenz eines Tiefseeschwamms und das Gespür eines Fensterleders.»
Wer’s noch nicht weiß – Borowiak hat jahrelang für das Satiremagazin «Titanic» geschrieben. Und was er hier zum Besten gibt und in Vorgängerromanen mehrfach getan hat, ist teilweise eigene Erfahrung: Depressionen, Psychiatrie, Alkoholismus, Suizidversuche. Angesichts eines solchen Vorlebens mag sich mancher berufen fühlen, sich Frust und Freud von der Seele zu schreiben. Aber nur wenigen wird es vergönnt sein, dies auf eine solch unnachahmliche Weise zu tun: eigentlich unaussprechliche Dinge mit oft deftigen Worten, aber absolut sauberer Wirkung auf den Punkt zu bringen und die ganze Bitterkeit mit Lachen wegzuspülen.
© Frauke Kaberka/dpa