Schriftsteller Kappacher mit Büchner-Preis geehrt
Petra Bohm | Posted 01/11/2009 | Autoren, Preise und Events | Keine Kommentare »
Für sein literarisches Lebenswerk hat der österreichische Schriftsteller Walter Kappacher («Der Fliegenpalast») am Samstag in Darmstadt den Georg-Büchner-Preis erhalten…
Die Deutsche Akademie für Sprache und Dichtung verlieh dem 71-Jährigen die bedeutendste deutsche Literaturauszeichnung, da in seinem «erzählerischen Werk die Stille hörbar wird und uns in seinen Bann zieht; für seine hoch musikalische, feinst komponierte und trotzdem gelassene, gleichsam atmende Prosa». Kappacher pflege «einen melancholischen Blick auf Welt und Menschen, der falschen Trost verweigert und gerade deshalb tröstlich wirkt».
Der Preis ist mit 40 000 Euro dotiert. Die Akademie ehrt damit jährlich deutschsprachige Schriftsteller und Dichter, die «durch ihre Arbeiten in besonderem Maße hervortreten und die an der Gestaltung des gegenwärtigen deutschen Kulturlebens wesentlichen Anteil haben».
Kappacher ist in Salzburg geboren und aufgewachsen. Er wurde erst spät bekannt. 1975 legte er sein erstes Werk vor, den Roman «Morgen». Dann folgten weitere Romane und Erzählungen. Doch erst 30 Jahre später erreichte der Autor mit «Selina» größere Aufmerksamkeit. Im Frühjahr dieses Jahres erschien der viel beachtete Künstlerroman «Fliegenpalast».
Bereits im vergangenen Jahr war der Georg-Büchner-Preis mit Josef Winkler («Roppongi, Requiem für einen Vater») an einen Österreicher gegangen. Frühere Preisträger sind unter anderen Friedrich Dürrenmatt, Heinrich Böll, Erich Kästner, Günter Grass, Elfriede Jelinek, Wolfgang Hilbig und Wilhelm Genazino. Namensgeber ist der Dramatiker und Revolutionär Georg Büchner, der 1813 im Großherzogtum Hessen geboren wurde und 1837 in Zürich starb.
Die Akademie verlieh neben dem Georg-Büchner-Preis noch zwei weitere Auszeichnungen, die beide mit 12 500 Euro dotiert sind. Die Kunst- und Wissenschaftshistorikerin Julia Voss erhielt den Sigmund- Freud-Preis für wissenschaftliche Prosa. Den Johann-Heinrich-Merck- Preis für literarische Kritik und Essay bekam der Kritiker und Lyriker Harald Hartung überreicht.
Kappacher gilt als «stiller Autor». Erst mit «Selina» (2005) wurde Walter Kappacher von einer breiteren Öffentlichkeit wahrgenommen. Der 71-jährige Österreicher, dessen Stil oft mit dem seines Landsmannes Adalbert Stifter (1805-1868) verglichen wird, hat am Samstag in Darmstadt den renommierten Georg-Büchner-Preis für sein Lebenswerk erhalten. Die mit 40 000 Euro dotierte Auszeichnung gilt als die wichtigste der deutschsprachigen Literatur. Kappacher lasse «die Stille hörbar werden», urteilte die Deutsche Akademie für Sprache und Dichtung. Der Autor sei ein «poetischer Realist».
In der Reihe der Büchner-Preisträger kann Kappacher auf einen der ungewöhnlichsten Lebensläufe verweisen. In Salzburg geboren und aufgewachsen, reparierte er nach der Schulzeit als gelernter Mechaniker Autos und Motorräder – «gegen den Willen des Vaters», wie Kappacher in seiner Dankesrede bekannte. Dann sattelte er nach abgebrochenem Schauspielstudium auf Reisebüro-Kaufmann um, bevor er im Alter von knapp 30 Jahren die ersten Kurzgeschichten veröffentlichte.
Die literarische Würdigung von Kappachers «stiller Prosa» hat auf sich warten lassen. Dem Erstling «Morgen» (1975) folgten zwar eine Anzahl von weiteren Romanen und Erzählungen. Doch erst mit «Selina» (2005) rückte Kappacher stärker ins Bewusstsein der literarischen Öffentlichkeit.
«Die Helden oder besser Taugenichtse meiner frühen Erzählungen waren mehr oder weniger etwas verschrobene junge Männer, die mit ihrem Leben unzufrieden waren, ratlos gleichzeitig, wie sie diesen Zustand ändern könnten», schilderte Kappacher nach der Preisverleihung. Im Frühjahr dieses Jahres erschien der viel beachtete Künstlerroman «Fliegenpalast». Bisher sind rund 25 000 Exemplare davon verkauft, teilte der Residenz Verlag im österreichischen St. Pölten mit. «Nach der Zuerkennung des Georg-Büchner-Preises hat die Nachfrage nach “Fliegenpalast” deutlich zugenommen», sagte Vertriebsassistentin Raffaela Springer. «Wir sind jetzt schon bei der neunten Auflage.» Dem 71-Jährigen ist jeder Rummel fremd. «Über meinen Stil denke ich nicht nach. Ich versuche Sätze zu schreiben, die mir selber gefallen», sagt der bedächtige Schriftsteller. In Kappachers Romanen geht es ruhig und unspektakulär zu – so wie der Autor selbst auch ist. Es findet sich kein durchgängiges «Lebensthema», im Gegensatz zu anderen österreichischen Autoren – etwa dem Büchner-Vorjahrespreisträger Josef Winkler aus Kärnten. Jedes Buch ist anders, auch wenn der Schriftsteller seinem Stil treu bleibt. Immer wieder tauchen bei Kappacher, der weiterhin bei Salzburg lebt, auch autobiografische Züge auf.
In «Selina oder das andere Leben» – der Titel nimmt Bezug auf ein Romanfragment von Jean Paul – nimmt sich ein Lehrer eine Auszeit in der Toskana, um einen Bauernhof zu renovieren. Im «Fliegenpalast» steht der österreichische Dichter Hugo von Hofmannsthal im Mittelpunkt, der im fortgeschrittenen Alter im Kurort Bad Fusch vergeblich auf eine Lösung seiner Schaffenskrise hofft. Schon in seinem frühen Roman «Die Werkstatt» im Jahr 1975 hat der Autor seine Leidenschaft für den Motorsport verarbeitet. Er schildert das Leben eines Motorradmechanikers, der in den USA ein Stock-Car- Rennfahrer wird. Im Roman «Silberpfeil» (2000) kehrte Kappacher ein Vierteljahrhundert später erneut zu diesem Thema zurück. In diesem Werk recherchiert ein junger Journalist über die deutschen Silberpfeile der 30er Jahre. Dabei geht es auch um die Verbindungen des Motorsports zu Hitler und dem Nazi-Regime.
Schreiben wahrscheinlich durch Lesen erlernt
In seiner Dankesrede schilderte Kappacher Kindheit und Jugend sowie seine Hinwendung zur Literatur. «Auch ich habe das Schreiben wahrscheinlich durch das Lesen erlernt», sagte er. «Für mich jedenfalls zählte immer bloß die Qualität einer künstlerischen Arbeit, egal ob sie vor 2000 Jahren oder vor 20 entstanden war.»
{cms:image:2}Auszüge aus Kappachers Dankesrede
«In dem Zimmer, in dem ich schlief, stand ein kleines Regal, mit lauter Bändchen der “Insel-Bücherei”. Jeden Tag zog ich einige der dünnen Bücher heraus, blätterte, las einige Zeilen eines Nachworts. Und so stieß ich auf ein Bändchen mit zwei Texten Georg Büchners: “Woyzeck” und “Lenz”. Vielleicht war es der fremd klingende Name Woyzeck, der mich veranlasste, das Bändchen für meinen Nachmittagsspaziergang einzustecken. Auf einem Baumstumpf sitzend, begann ich zu lesen. So etwas Radikales, aufs äußerste Verdichtete hatte ich noch nie gelesen.»
«Als ich anfing zu schreiben, hatte ich selbstverständlich nicht die geringsten theoretischen Kenntnisse. Auch ich habe das Schreiben wahrscheinlich durch das Lesen erlernt. Ich erinnere mich an zwei Bücher, die wegweisend waren: Kafkas “Prozess”, in dem der Protagonist ein Angestellter war. In diesem Roman las ich zum ersten Mal Szenen, die in einem Büro spielten, in einer Bank, mit Kollegen, mit einem Direktor-Stellvertreter, mit Telefongesprächen… Da dachte ich mir: Aha! Es muss ja gar nicht ein Held sein, der alle möglichen Abenteuer zu bestehen hat, kein Liebesdrama. Ja, dann kann ja auch ich anfangen zu schreiben.
Der zweite Text war der Essay “Der Erzähler” von Walter Benjamin, in dem Benjamin anhand des russischen Schriftstellers Nikolai Leskow über den Ursprung des Erzählens berichtet: Bauern und Seefahrer seien es gewesen, die etwas zu erzählen hatten, später auch die herumreisenden Handwerker. Man musste also nicht unbedingt auf einem Universitäts-Campus geboren sein, um das Recht zum Schreiben zu erhalten.
Die Helden oder besser Taugenichtse meiner frühen Erzählungen waren mehr oder weniger etwas verschrobene junge Männer, die mit ihrem Leben unzufrieden waren, ratlos gleichzeitig, wie sie diesen Zustand ändern könnten. Auch der Stefan meines Romans “Selina” in seinem alten toskanischen Gemäuer gehört zu ihnen.»
© dpa