Das Jetzikon
Petra Bohm | Posted 07/12/2009 | Politik und Gesellschaft | Keine Kommentare »
Die Dinge der Dekade: Was sie (über) uns erzählen
Was haben folgende Phänomene gemeinsam? Flatrate, Flatscreen, Arschgeweih, Zahnbleichmittel, USB-Stick, iPod, Navigationssystem, Bionade, Heizpilz, Rollkoffer, Smartphone oder Size-Zero-Jeans? Richtig: Sie sind typische Erscheinungen des Jahrzehnts, das nun zu Ende geht. Die Journalisten Tobias Moorstedt (unter anderem «Süddeutsche Zeitung», «Spiegel Online») und Jakob Schrenk («Neon») legen mit ihrem «Das Jetzikon. 50 Kultobjekte der Nullerjahre» eine Begriffe-Sammlung vor, die die Jahre 2000 bis 2009 charakterisiert.
Die sogenannten Nullerjahre, auch «2000er» genannt, haben allerhand hervorgebracht, was uns inzwischen vertraut ist oder aber bereits wieder «out» zu sein scheint. Moorstedt und Schrenk haben es verspielt zusammengestellt. Entstanden sind mehr als 250 Seiten mit originellen Beobachtungen, vollendet formuliert. Ihr Ansatz ist die Frage: «Was bleibt? Von uns und diesen hektischen, knallbunten, revolutionären Nullerjahren? Was wird über uns in den Geschichtsbüchern stehen, welche Objekte werden in der Museumsvitrine landen?»
Zum Bärlauch und dessen Boom schreiben sie zum Beispiel: «Regionale und altbewährte Produkte wie Bärlauch, Topinambur, Mangold, Löwenzahn und Brennnessel erlebten ein rasantes Comeback und befriedigten gleichzeitig das steigende Bedürfnis nach einem nachhaltigen und ethischen Lebenswandel (siehe Bionade): Anders als die neuseeländische Flug-Kiwi hatte die Schwarzwurzel vom Biobauern nebenan eine vertretbare Kohlenstoffbilanz.»
Und zu den Plastik-Latschen Crocs («Entstehungszeit: 2002, Niedergang: 2008, Material: Granulatmix, Funktion: Verstrandung des Alltags») heißt es: «Die großen Fashion-Trends im frühen 21. Jahrhundert, der Preppy-Look (Button-Down-Hemden, Dufflecoats, Tweed- Hosen), der Rock\’n\’Roll-Schick (enge Anzüge, Röhrenjeans) oder der Hippie-Style (weite Röcke, Stirnbänder) waren allesamt nur Variationen und Kopien der Modecodes der 60er und 70er Jahre. Es ist nicht übertrieben zu behaupten, dass die Crocs die einzig originäre Innovation auf dem Bekleidungsmarkt waren – so etwas hatte man in der Geschichte der Menschheit wirklich noch nicht gesehen.»
Bemerkenswert auch die Gedanken über die DVD-Box, die von ihrem Betrachter nicht zwei Minuten Zeit fordere, sondern fünf Tage und sich nicht mit der beschleunigten Moderne arrangiere, schreiben die Autoren. Viele Kinohelden lerne man in einer normalen Spielfilmlänge gar nicht richtig kennen, (amerikanische) Fernsehserien dagegen seien schön komplex. Während man in Filmen nur «Biografie-Meilensteine, Schicksalsschnipsel und einige wenige Details wie Drinkvorlieben» kennenlerne, blieben Serien-Helden wie beispielsweise Carrie Bradshaw aus «Sex and the City» keine Fremden. Manche Fans kennen sie sogar besser als ihre beste Freundin – man weiß Bescheid über alle Ticks oder sogar Lebensmittelallergien.
© Gregor Tholl/dpa