«Ein russischer Sommer»: nach Leo Tolstoi

Petra Bohm | Posted 22/01/2010 | Belletristik, Preise und Events | Keine Kommentare »

Kinostart am 28. Januar

Alle Religionen dieser Erde haben etwas gemeinsam, erklärt der russische Romancier Leo Tolstoi (Christopher Plummer) gleich zu Beginn seinem neuen, jungen Sekretär Walentin (James McAvoy): Es ist «die Liebe». Und um deren Kraft und Wechselfälle dreht sich denn auch alles in «Ein russischer Sommer», einer aufwendigen deutschen, mit internationalen Stars besetzten Produktion des amerikanischen Regisseurs und Autors Michael Hoffman («Ein Sommernachtstraum», 1999).

Nach einem Buch von Jay Parini erzählt Hoffman die letzten Tage des 82-jährigen Tolstoi auf seinem malerischen Landgut Jasnaja Poljana 1910. Schön wie ein Gemälde wirkt jede Szene des kultivierten Films, wunderbar ausdrucksstark und differenziert agieren seine Darsteller. Da ist es schade, dass ausgerechnet das Kernthema «Liebe» letztlich doch recht gefällig und ungeistig behandelt wird.

Graf Tolstoi, den großen Volksfreund, Sozialutopisten und lebenslangen religiösen Sinnsucher, erlebt man hier im Dauerzwist mit seiner ihm innig verbundenen Ehefrau Sofia (Helen Mirren, «Die Queen», 2006), der er sich schließlich durch Flucht und Tod entzieht. Seit 48 Jahren ist er mit Sofia verheiratet, die ihm 13 Kinder gebar und «Krieg und Frieden» sechsmal eigenhändig abschrieb.

Der zermürbende Streit der Eheleute, historisch belegt durch Tagebuchaufzeichnungen und andere Schriften, entzündet sich am Willen des privilegiert lebenden Schriftstellers, sein Vermögen und die Rechte an seinen Werken «dem Volk» zu vermachen. Einflüsterungen seines Vertrauten Tschertkow (Paul Giamatti) tragen zu dem Entschluss bei. Sofia, die im Gegensatz zu ihrem Ehemann im kargen Schäferhemd gern Seide und Spitze trägt, kämpft verbissen um den Besitz für sich und ihre Kinder.

Es ist schon eine Lust zu sehen, mit welcher Virtuosität Mirren, die selbst von russischen Adeligen abstammt und eigentlich Elena Wasilijewna Mironova heißt, und der 80-jährige Plummer («The Sound Of Music», 1965) im gräflichen Hause die Fetzen fliegen lassen: «Du liebst nicht einmal deine eigenen Kinder  nicht einmal mich liebst du», schreit die längst nicht mehr faltenfreie Frau ihren graubärtigen, bärbeißigen Gatten an, um im nächsten Moment hingebungsvoll-albern mit ihm zu gurren und zu schnurren.

Wütend tauscht sie im Arbeitszimmer Tolstois ein Foto Tschertkows gegen eine Aufnahme des Paares aus. Angesichts von soviel Leidenschaft kann der naive Walentin nur staunen  ist er doch ein Anhänger der Tolstoi schen Lehre von hehrer, reiner Liebe und Askese. Am eigenen Leib bekommt er die Liebe bald durch die freisinnige Lehrerin Mascha (Kerry Condon) zu spüren.

Vergnügen bereiten dem Kinozuschauer parallel dazu Bilder von nebelverhangenen Feldern und lichten Birkenwäldern, von Kutschen und Eisenbahn sowie altrussischem Schlossambiente  alles anno 2008 in Sachsen-Anhalt, Brandenburg, Thüringen und einem Studio in Leipzig mit der Kamera eingefangen. Schön und gut ist auch das Plädoyer der Geschichte für Liebe verstanden als Sinnlichkeit, Humor und Verständnis für menschliche Inkonsequenz.

Leider blendet Hoffman deren anfangs angesprochene spirituelle, strengere Seite im Laufe der Handlung nicht nur aus  er lässt sogar einen orthodoxen Geistlichen schlafen, während Tolstoi sein Leben aushaucht. So wird er am Ende weder der tiefgründigen Liebe noch dem Dichter, der immerhin die Bibel übersetzte, gerecht. Dafür vermag sein Film Appetit zu machen auf die Originallektüre «Anna Karenina».

Share and Enjoy:
  • Print
  • Digg
  • Sphinn
  • del.icio.us
  • Yahoo! Bookmarks
  • Facebook
  • Mixx
  • Google Bookmarks
  • Blogplay
  • LinkedIn
  • StumbleUpon
  • Twitter
  • RSS

Kommentar verfassen

Connect with Facebook

Leseprobe

Related Posts

  • No Related Post