«In Pantoffeln durch den Terror»

Petra Bohm | Posted 08/01/2010 | Uncategorized | Keine Kommentare »

Authentischer Bericht aus der Französischen Revolution…

Anderthalb Jahre sind seit dem Sturm auf die Bastille am 14. Juli 1789 vergangen, als Célestin Guittard mit seinen Tagebuchaufzeichnungen beginnt. Akribisch listet er die täglichen Ereignisse in der wohl bewegtesten und bewegendsten Zeit Frankreichs auf. Es ist nicht klar, ob er das Ende der französischen Revolution im Jahr 1799 erlebt, denn am Pfingstsonntag, dem 14. Mai 1796, hören seine Einträge abrupt auf. Dennoch ist das, was er in seiner etwa fünfjährigen Buchführung zu Papier bringt, ein bedeutendes Vermächtnis – und ganz und gar nicht nur für Historiker von Interesse.

Célestin Guittard war ein gutsituierter Pariser Bürger, der erst mit 67 Jahren zur Feder griff, um eine kurze Zeit einer außergewöhnlichen Epoche als stiller Beobachter zu dokumentieren – nur für sich. Und deshalb hat es wohl auch 150 Jahre gedauert, bis Raymond Aubert im Familiennachlass seiner Frau das Tagebuch entdeckte, mühsam entzifferte und 1974 in Frankreich herausgab. Endlich ist es nun auszugsweise unter dem Titel «In Pantoffeln durch den Terror» auch auf dem deutschen Büchermarkt erschienen, in einer besonders schönen Ausgabe der Anderen Bibliothek im Eichborn Verlag.

Oft sind es nur Alltäglichkeiten, die Guittard aufschreibt: über die Stimmungslage in seinem Umfeld, über seine Gesundheit, über Theater- und Museumsbesuche, über seine Freund- und Liebschaften und vieles mehr. Aber das vermittelt ebenso ein Bild jener Zeit wie seine Berichte über Inflation und Teuerungsraten, aus den französischen Kolonien in Übersee, über die fast täglichen Unruhen und Aufstände verschiedener politischer Gruppierungen, über das Volk, das zwischen Begeisterung und Depression, zwischen Freude und Wut, Euphorie und Verzweifelung hin- und hergerissen ist. Vor allem aber ist es die detaillierte Wiedergabe von Dekreten, die laufend durch neue ersetzt werden.

Die Absetzung, Entmachtung, Arrettierung und schließlich Hinrichtung des Königs Louis XVI. und seiner Frau Marie-Antoinette notiert er äußerst nüchtern. Auch als im Juni 1793 die Zeit des Grande terreur, des großen Terrors beginnt, täglich Köpfe rollen, die Listen der Deliquenten immer länger werden und er mit der Auflistung ihrer Namen gar nicht mehr hinterherkommt, enthält er sich zumeist jeden Kommentars. Doch als schließlich deren Hauptakteur Maximilien de Robespierre im Juli 1794 selbst unter das Fallbeil muss, lässt er Erleichterung durchblicken. Heute schätzt man die Opfer des grande terreur übrigens auf etwa 50 000, wie im Nachwort zu lesen ist.

Viele Ereignisse bekommen in den Aufzeichnungen eine exakte historische Einordnung: zum Beispiel die Abschaffung des Malteser Ordens und aller weiterer Orden 1791 oder am 4. August des gleichen Jahres die Fertigstellung der ersten Verfassung auf Grundlage der Menschenrechte, die später auch der König unterzeichnen wird – gezwungenermaßen. Gezwungenermaßen muss Louis am 20. Juni vor dem Volk die rote Jakobinermütze aufsetzen. Und gezwungenermaßen sorgt er selbst für die Entwicklung jener Maschine, unter der er am 21. Januar 1793 seinen Kopf verliert. Guittard schreibt am 22. März 1792: Gestern wurde ein Dekret erlassen, durch das der König beauftragt wird, für ganz Frankreich Maschinen anfertigen zu lassen – Guillotinen -, mit denen der Kopf abgetrennt wird. Es wird nicht mehr gehängt.

Vieles, was Guittard damals erlebte und aufschrieb, ist heute noch aktuell, so auch die Entstehung der französischen Nationalhymne. Am 26. Oktober 1792 notiert er: «…und die Mädchen sangen den Marsch der Marsailler, und die Versammlung sang den Refrain im Chor mit. Zur Zeit wird dieser Marsch jeden Tag am Ende jeder Versammlung gesungen. Seit einigen Tagen singt man ihn in allen Sektionen.» Und viele historische Persönlichkeiten tauchen in dem Tagebuch auf, wie La Fayette, Mirabeau, Marat, Danton und natürlich Robespierre. Einer aber fehlt, mit dessen kometenhaftem Aufstieg 1799 die Französische Revolution offiziell beendet wird: Napoleon Bonaparte. Es ist eine fragmentarische Hinterlassenschaft, aber eine großartige, weil authentische.
© Frauke Kaberka/dpa

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