Siri Hustvedt –
Petra Bohm | Posted 01/02/2010 | Belletristik, Biografien | Keine Kommentare »
auf der Suche nach sich selbst
Wunde Seelen, der übermächtige Einfluss der eigenen Vergangenheit, Schicksalsschläge und die komplexe eigene Psyche bestimmen seit jeher die Romane der Amerikanerin Siri Hustvedt. Das gilt für den Roman «Was ich liebte» (2003) ebenso wie für «Die Leiden eines Amerikaners» (2008), in denen sie jeweils einen Mann die Geschichten erzählen lässt. Doch in ihrem jüngsten Werk wählt sie nicht einen fiktiven Erzähler, sondern sich selbst und macht sich damit (die Parallele zu Sigmund Freud als Erzähler ist unübersehbar) selbst zur Geschichte.
Die 54-jährige Hustvedt (18. Februar 1955) macht sich in ihrem jüngsten Werk «Die zitternde Frau – Eine Geschichte meiner Nerven» auf die Suche nach einem ihr bisher unbekannten Teil ihres Selbsts. Das liest sich größtenteils wie eine wissenschaftliche Abhandlung – kaum eine Seite ohne Fußnote und ergänzt von einer mehr als 15-seitigen Bibliografie. Doch lässt man sich auf die Suche der Autorin, die zugleich ihre eigene Patientin ist, ein, erinnert das Werk mal an eine kriminalistische Geschichte, mal regt es vor allem die Reflexion über die eigene Person an.
Zweieinhalb Jahre nach dem Tod ihres Vaters, einem Norwegisch-Professor, soll Hustvedt auf dem Campus eine Rede zu Ehren ihres Vaters halten. Plötzlich befällt sie vom Hals abwärts ein seltsamer Zitteranfall. Seltsamerweise ist ihre Stimme nicht betroffen, und so kann sie ihre Rede – körperlich zwar völlig verkrampft – bis zum Ende halten. Sie fühlt sich von einer unbekannten Macht in Besitz genommen, und das ist kein unbekanntes Gefühl. Ein ähnliches Erlebnis hatte sie bereits 20 Jahre zuvor.
Migräne, Schwindelanfälle, «himmlische Gefühle von Levitation», Schwarzwerden vor den Augen und Halluzinationen von einem rosa Männchen und einem rosa Ochsen kennt sie seit ihrer Kindheit. Seitdem beschäftigt sie sich auch mit Neurologie, Psychiatrie und Psychologie – zunächst aus persönlichem Interesse, später für ihre Romane – nun also wieder in eigener Sache. Denn die Zitteranfälle treten fortan immer häufiger auf – wenn auch nicht bei jedem öffentlichen Auftritt.
«Die zitternde Frau fühlte sich wie ich an und zugleich nicht wie ich. Vom Kinn an aufwärts war ich mein vertrautes Selbst. Vom Hals an abwärts war ich eine geschüttelte Fremde», schreibt Hustvedt und sie ist sich sicher, dass dieser Anfall eine emotionale Komponente jenseits von Lampenfieber haben muss. Also beschließt sie, der zitternden Frau auf die Spur zu kommen.
Dies tut Hustvedt mit einer medizinischen und wissenschaftlichen Akribie, dass bei der Lektüre ein medizinisches Wörterbuch durchaus hilfreich sein kann. Sie erläutert die unterschiedlichsten psychischen und psychiatrischen Krankheiten wie Epilepsie, Konversionsstörungen, das Tourette-Syndrom (das Auftreten von Tics), Schädigungen des Temporallappen, schreibt über Depressionen, bipolare Störungen und legt Theorien und Erkenntnisse von Wissenschaftlern allen voran Freud dar. All dies spickt sie mit zahlreichen Fallbeispielen, teils aus ihren Erfahrungen aus einem Schreibkurs für psychisch Kranke.
Die New Yorker Autorin und Frau des Schriftstellers Paul Auster entwirft ein detailliertes psychologisches Seelenbild ihrer Selbst, ohne dabei indiskret aus dem persönlichen Nähkästchen zu plaudern – im Gegenteil – der wissenschaftliche Anteil überwiegt. Sie scheut sich nicht, die Theorien und Erkenntnisse auf sich zu beziehen. Dabei gibt Hustvedt keine eindeutigen Antworten, sondern stellt Fragen, mit denen sie sich ihrem eigenen Problem nähert. Die Lösung ist dann fast verstörend pragmatisch bis simpel, fernab jedweder Theorie – der Weg dahin allerdings mitunter schmerzhaft und vor allem hochspannend.
© Britta Schmeis/ dpa