Terra Islamica

Petra Bohm | Posted 01/02/2010 | Biografien, Politik und Gesellschaft | Keine Kommentare »

Reise in den Islam – und zum unbekannten Vater

Durch die Türkei nach Syrien fahren und weiter nach Saudi-Arabien, Iran, Pakistan? Weil einem der Islam so fremd ist und man gerne mehr über ihn wissen möchte? Klingt ein wenig abenteuerlich und auch blauäugig – würde sich ein ganz normaler Abendländer auf diese Reise begeben. Aber Aatish Taseer (30) passt in keine Schublade. Aus islamischer Sicht wurde er als Muslim geboren, wuchs jedoch in Indien auf, in der Familie seiner Mutter, die zur Religionsgemeinschaft der Sikhs gehört. Er studierte in den USA, arbeitete als Journalist in London.

England ist auch der Ausgangspunkt der Reise. 2005 schreibt Taseer nach den Terroranschlägen auf die Londoner U-Bahn über den Bruch zwischen den Generationen unter den muslimischen Einwanderern. Und er merkt, dass die Frage nach der Identität auch ihn selbst angeht.

Der Islam ist ihm so fremd wie den meisten Europäern, aber er ist ihm eng verbunden durch seinen pakistanischen Vater. Genau das macht Taseer zum idealen Reiseführer durch die «Terra Islamica». Sein Anrecht, als Muslim anerkannt zu werden, verschafft ihm Vertrauen und öffnet ihm Türen. Zugleich lässt ihn seine innere Distanz zum Islam genau die Fragen stellen, die sein Buch so spannend machen.

Eigentlich sind es zwei Reisen, eine durch die islamische Welt und eine zu seinem Vater. Die Kapitel dazu wechseln einander ab, und am Ende laufen beide Stränge in Lahore im Haus des Vaters zusammen.

Beide Reisen sind hart. In Syrien erlebt Taseer, was der Streit um die Mohammed-Karikaturen an Hass freisetzt, wie sehr sich junge Männer mit der Frage herumschlagen, wie denn ein ideales islamisches Leben, befreit von westlichem Einfluss, wohl aussähe. Und im Iran lernt er junge Intellektuelle kennen, die sich von einem Polizeistaat geknebelt fühlen, der sich als islamisch bezeichnet.

Der härteste Moment ist aber, als er seinem Vater, den er endlich kennenlernen möchte, am Telefon ein Treffen vorschlägt. «Eine kurze Stille, und dann sagte mein Vater, als hätte er jahrelang an dieser Antwort gefeilt: “Zu welchem Zweck?”»

Taseer schreibt in einem spannenden Reportagestil. Aber genau hier liegt auch eine Schwäche seines Buchs. Wenn ein Informant ihm etwas erzählt und Taseer das einfach zitiert, bleibt unklar, ob es auch stimmt, ob der Autor der Geschichte auf den Grund gegangen ist. Auch wird nicht deutlich, ob er alles eins zu eins wiedergibt – womit er eine Reihe von Gesprächspartnern in Gefahr brächte – oder ob er seine Informanten schützt, ihre Namen und Identitäten verschleiert.

Außerdem entfernt er sich gerade da von westlichen Lesern, wo er selbst besonders nahe dran ist an der Geschichte, die er beschreibt, nämlich wenn es um Indien und Pakistan geht. Hier setzt er eine Menge Wissen voraus, vor allem über die Teilung des Landes 1947 durch die Briten, die Massenmorde beim Versuch von Hindus, Sikhs und Muslimen, das islamische Pakistan beziehungsweise das säkulare Indien zu erreichen, aber auch über die Entwicklung Pakistans bis heute.

Aber all das ist kein Grund, dieses Buch nicht zu lesen. Taseers sehr subjektive Geschichte ist vielschichtig und spannend und ein willkommener Ausgleich zu abstrakten Analysen.
© Jürgen Hein/dpa

Share and Enjoy:
  • Print
  • Digg
  • Sphinn
  • del.icio.us
  • Yahoo! Bookmarks
  • Facebook
  • Mixx
  • Google Bookmarks
  • Blogplay
  • LinkedIn
  • StumbleUpon
  • Twitter
  • RSS

Kommentar verfassen

Connect with Facebook

Leseprobe

Related Posts

  • No Related Post