«Das ist wirklich der letzte!»

Books | Posted 08/06/2010 | Krimis | Keine Kommentare »

© Ulla Montan

Vor neun Jahren erschien «Die Brandmauer» auf Deutsch. Es sei Henning Mankells letzter Wallander-Roman, hiess es damals. Doch Totgesagte leben bekanntlich länger: In «Der Feind im Schatten» unternimmt der beliebte Kommissar aus Ystad eine Reise in die Vergangenheit – auch in seine eigene.

Ostschweden im Oktober 1981: Ein sowjetisches U-Boot läuft vor dem Marinestützpunkt Karlskrona auf Grund. Wie es unbemerkt bis dorthin gelangen konnte, ist ein Rätsel. Der Vorfall ist der Beginn einer wahren Hysterie im politisch neutralen Schweden. Die Bevölkerung fürchtet eine sowjetische Infiltration, das Militär Spionagekampagnen des «russischen Bären». Meldungen der schwedischen Marine über U-Boot-Sichtungen häufen sich in den folgenden Jahren, doch nichts wird aufgespürt. Noch heute ranken sich mehr Mythen als Fakten um die schwedische U-Boot-Jagd im Kalten Krieg.

Wallander wird politisch

Vor diesem realen Hintergrund spielt «Der Feind im Schatten», Henning Mankells neuestes Buch mit dem sympathisch-knurrigen Kommissar Kurt Wallander in der Hauptrolle. «Das ist wirklich der letzte Wallander-Roman», beteuert der Autor und begründet gleich, weshalb er seine erfolgreichste Figur noch einmal aus dem literarischen Ruhestand geholt hat: «Ich bemerkte, dass es noch keine Geschichte um Wallander selbst gab.» Wallander-Fans mag es erstaunen, dass der Kommissar aus Ystad ausgerechnet in eine hochpolitische Geschichte verstrickt wird, schliesslich interessiert sich Wallander wenig für Politik. «Ich wollte ihn aber einmal zwingen, sich mit seiner eigenen Zeit auseinanderzusetzen», verrät Mankell. Diese Zeit war der Kalte Krieg, der auch die Menschen im neutralen Schweden prägte. Die Neutralität bezeichnet Mankell allerdings als Unsinn: «Wir standen in Wahrheit immer auf Seiten der NATO. Schweden war nicht neutral.» Und schon sind wir mitten im neuen Roman!

Alles Familiensache

Wie bringt man eine Figur dazu, etwas zu tun, das sie nicht tun will – und das eigentlich gar nicht zu ihr passt? «Ich habe einen Weg gefunden, wie ich den heutigen Wallander mit diesen Ereignissen verbinden konnte», sagt der Autor von bislang über 40 Romanen. Dieser Weg – oder vielmehr Umweg – führt über die Familie. Der zukünftige Schwiegervater von Wallanders Tochter Linda, Korvettenkapitän Håkan von Enke, verschwindet nämlich plötzlich. Er war in den 1980er-Jahren Zeuge einer U-Boot-Jagd und stellte, wie Wallander herausfindet, im Lauf der Zeit eigene Ermittlungen über die Affäre an. Wie es scheint, grub er dabei jedoch zu tief. So kommt es, dass der Kommissar in eine Geschichte über Spionage und Intrigen hineingezogen wird, ohne dass er das wirklich möchte – und ohne dass er eigentlich dafür qualifiziert wäre: «Politik hatte er als eine höhere Macht abgetan, die über die Möglichkeiten der Polizei, Ruhe und Ordnung zu bewahren, bestimmte, kaum mehr.» Mit dieser höheren Macht bekommt es Wallander jetzt aber zu tun; er gerät in einen Strudel, der ihn immer tiefer in ein heikles Thema der schwedischen Geschichte zieht.
«Der Feind im Schatten» ist in Mankells Heimatland bereits erschienen. Wie haben die Leser auf die Themenwahl reagiert? «Die einen sagten: Gut, dass mal jemand diese Geschichte aufgreift. Die anderen fanden, man solle die Dinge ruhen lassen – wie immer, wenn es um weniger ruhmvolle Aspekte der Vergangenheit geht.» Die Dinge ruhen zu lassen ist allerdings weder die Art des Autors Henning Mankell noch die des Kommissars Kurt Wallander. Der Polizist gewinnt im Roman deshalb die Oberhand über den Politikmuffel – und die Geschichte nimmt ihren mysteriösen, für Wallander undurchsichtigen Lauf.

Blick zurück ohne Zorn

Wie es sich für den letzten Roman einer Serie gehört, schliesst Mankell einige Wissenslücken seiner Leser, von denen es allein im deutschsprachigen Raum über 20 Millionen gibt. «Der Feind im Schatten» ist ebenso ein politischer wie auch ein persönlicher Roman geworden. Kurt Wallander, der Meister der Verdrängung, setzt sich plötzlich mit seinem Privatleben ernsthaft auseinander – weshalb? «Es ist der ganz normale Prozess, den Wallander durchmacht», erklärt der Autor. «Wenn man 60 ist, gibt es ein paar Gewissheiten. Du weisst, mehr als die Hälfte deines Lebens hast du bereits hinter dir. Du bewegst dich aufs Ende zu, die wichtigsten Entscheidungen in deinem Leben sind gefallen. Also ist es ein natürlicher Impuls, rückwärts zu blicken.» Für den Kommissar aus Ystad ist dieser Rückblick – wie es seiner etwas dramatisierenden Natur entspricht – alles andere als positiv. Ihm wird bewusst, was in seinem Leben gewollt oder ungewollt anders verlief, als es hätte können oder sollen. Und die Summe dieser Versäumnisse trübt Wallanders Aussichten für die Zukunft, wie er beim Besuch eines Pflegeheims vor Augen geführt bekommt: «Es bedrückte Wallander, all die Alten zu sehen, die mit ihren Rollatoren umherschlurften oder dasassen und an die Wand starrten, von Schweigen und Isolation umgeben. Seine Furcht vor dem Alter hatte sich mit den Jahren ständig verstärkt.» Es ist die Furcht vor der Einsamkeit, die Wallander erschüttert. Denn ihm wird bewusst, dass er seine privaten Kontakte sträflich vernachlässigt hat. Stellt sich auch Henning Mankell, der ja im gleichen Alter wie die Romanfigur ist, Fragen nach dem Verlauf seines Lebens? «Ja, aber ich muss vor diesen Fragen keine Angst haben», sagt er. «Ich hatte grosses Glück, und ich konnte in meinem Leben genau das machen, wovon ich geträumt habe.»

Erfolgsrezept Menschlichkeit

Dass Kurt Wallander zu den Menschen gehört, die nicht so viel Glück hatten, ist eines der Erfolgsgeheimnisse der Wallander-Romane. «Wallander ist kein hartgesottener Held», beschreibt Mankell seine beliebteste Schöpfung. Der Kommissar aus Ystad ist mehr Inspektor Columbo als Bruce Willis – einer, der seine Schwächen und Fehler hat und mit ihnen lebt, anstatt auf die Zähne zu beissen und sich den Weg bis ans Ende des Falls freizuschiessen. Wie jeder Mensch versucht auch Wallander, bestimmte Dinge zu verdrängen, doch muss er eben immer wieder feststellen, dass sie zu Unzeiten zurück an die Oberfläche kommen. Die Gesundheit – oder viel eher die Angst vor der Krankheit – ist ein solches Thema. Diesmal ist es die Vergesslichkeit, die den Kommissar plagt. Plötzliche «Filmrisse» lassen ihn das Schlimmste befürchten – Alzheimer –, und sie veranlassen ihn schliesslich dazu, zum Arzt zu gehen. Kurt Wallander ist, wie Mankell es ausdrückt, «in bestimmter Hinsicht sehr durchschnittlich»; eine Figur, in der sich jeder Leser bis zu einem gewissen Grad wiederfinden kann. «Da draussen laufen wahrscheinlich Millionen verschiedene Wallanders herum», sagt der Autor und meint damit, dass «jeder Leser seinen eigenen Wallander im Kopf hat.»

Wirklich ein Abschied für immer?

«Der Feind im Schatten» ist voller Melancholie, beinahe schon Schwermut. Es ist ein Abschied auf Raten, den der Leser gemeinsam mit der Hauptfigur durchlebt. Denn je mehr Türen sich in Wallanders Leben schliessen, desto mehr wird klar, dass Henning Mankell diesmal wohl keinen Rücktritt vom Rücktritt machen wird. Obwohl er als Autor noch nicht alle Facetten Wallanders erforscht habe: «Ich bin mir sicher, dass es viele Aspekte seines Cha- rakters gibt, die ich nicht kenne, denn ich weiss ja schliesslich auch nicht alles über mich selbst.» Doch der schwedische Bestsellerautor ist nicht sentimental. In einem Interview mit der «Zeit» gesteht er zwar ein, er fände es gut, wenn die Leser Wallander vermissten – ihm als Autor gehe es jedoch nicht so: «Für mich war Wallander einfach ein Teil meiner Arbeit.» Ausserdem habe er ja nicht nur Kurt Wallander Leben eingehaucht: «Ich habe so viele andere Bücher geschrieben. Die sind doch auch interessant.» Dennoch, ein winzig kleines Hintertürchen lässt sich Henning Mankell in Sachen Wallander offen, wie er der «Zeit» verriet: «Ich habe ja immer noch die Möglichkeit, über seine Tochter zu schreiben. Und wenn ich über die Tochter schreibe, wird der Vater irgendwo im Hintergrund sein.»
© Erik Brühlmann/Books.ch
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Titel:
Der Feind im Schatten

ISBN-13:
978-3552054967

Autor:
Henning Mankell

Verlag:
ZSOLNAY

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