Spannungsliteratur, die in England spielt, muss nicht immer von einer Britin geschrieben werden. Charlotte Link hat mich jahrelang das Gruseln gelehrt und das trotz ihrer deutschen Herkunft. Aber als ich angefangen habe, mich für englische Spannungsliteratur zu begeistern, bin ich relativ schnell bei der Queen of Crime gelandet: Minette Walters. Im Laufe der letzten Jahre ist sie etwas aus meinem Blickwinkel gerutscht, bis ich vor wenigen Tagen „Der Schatten des Chamäleons“ entdeckte, 2008 als Hardcover erschienen, nun zum ersten Mal auch als Taschenbuch.

Nachdem das Wetter eher nach Sofa als nach See aussah, war ich auf der Suche nach entspannter Lektüre und griff zu. „Der Schatten des Chamäleons“ beginnt mit der langsamen Genesung des verwundeten Charles Acland. Der Klappentext spricht von einem Protagonisten, der plötzlich unberechenbar wird. Die Unberechenbarkeit wird im ersten Viertel durch ein ausführliches Psychogramm beschrieben oder eher verständlich gemacht. Da gibt es eine Exfreundin, die sich für Uma Thurman hält und abwechselnd Charles und seinen Psychiater becircen möchte. Dann ist da noch eine Mutter, die Charles den Kopf frisiert und ihn ungebremst als kleinen Jungen bezeichnet und ein Vater, der mit seinem Sohn so spricht, als wäre er ein Kumpel, dem er anvertrauen könnte, wie sehr sein Sohn durch den Unfall entstellt ist.

Wir erfahren nicht nur wie Charles sich fühlt, sondern auch die Gefühle jeder Menge anderer Handlungsträger. Wie in einem Zettelkasten hat Minette Walters Dokumente eingefügt: eine Mail der Exfreundin, ein Bericht der Krankenschwester oder Briefverkehr von Ärzten.

Was anfangs etwas ermüdend wirkt, hilft uns aber Charles Acland zu verstehen und einen Teil seiner Handlungen nachvollziehbar zu machen. Wir lernen ihn als einen Verwundeten kennen, der mit einer eigentümlichen Mischung aus Wut und Langeweile gefüllt ist, als plötzlich mehrere Morde geschehen und Charles zum Hauptverdächtigen mutiert.

Ja, wir nehmen auch an den Ermittlungen teil– der Zettelkasten zieht sich durch und so sind wir Teil einer wendungsreichen Handlung ohne das Sofa verlassen zu müssen. Während der Lektüre hat das Wetter umgeschlagen, aber so ein Taschenbuch ist auch seetauglich. Und wenn wir zufrieden und gut unterhalten Minette Walters zur Seite legen, gibt es ja immer noch Charlotte Link.