Immer wieder gerne: Wir gratulieren Herta Müller!
Frauke Schlieckau | Posted 14/08/2010 | Autoren | Keine Kommentare »Blass, dunkle Haare, rote Lippen. Herta Müller ist der ernste Typ. Den Pagenkopf akkurat geschnitten, in dunkler Kleidung, nahm sie im vergangenen Jahr die wohl grösste Auszeichnung entgegen, die einer Schriftstellerin zuteil werden kann: Den Literaturnobelpreis für ihr sprachgewaltiges Gesamtwerk über die rumänische Diktatur.
Die Königlich-Schwedische Akademie in Stockholm würdigte besonders die Reinheit der Dichtung, die ihrem Werk inne wohnt und die Art und Weise in der sie mit Poesie und Sachlichkeit „Landschaften der Heimatlosigkeit“ zeichnet.
Beeindruckend ist vor allem, dass Herta Müller dabei unerschrocken bis an die Schmerzgrenze geht. Sie schreibt, so Peter Englund, der Chef der Nobelpreis-Akademie „ohne Rücksicht auf sich selbst“. Mit ihren Werken versucht sie dem historischen Vergessen etwas entgegenzuhalten. Zum Beispiel mit ihrem Roman mit dem wunderbaren Titel „Atemschaukel“, der im vergangenen Jahr für den Deutschen Buchpreis nominiert wurde, eine Lagergeschichte die den Leser zutiefst berührt.
Eins steht fest: Herta Müller kann schreiben. Kein Wunder, dass selbst ihre Nobelpreisrede, deren Anfang folgendermaßen klang, Poesie war:
“HAST DU EIN TASCHENTUCH, fragte die Mutter jeden Morgen am Haustor, bevor ich auf die Straße ging. Ich hatte keines. Und weil ich keines hatte, ging ich noch mal ins Zimmer zurück und nahm mir ein Taschentuch. Ich hatte jeden Morgen keines, weil ich jeden Morgen auf die Frage wartete. Das Taschentuch war der Beweis, daß die Mutter mich am Morgen behütet. In den späteren Stunden und Dingen des Tages war ich auf mich selbst gestellt. Die Frage HAST DU EIN TASCHENTUCH war eine indirekte Zärtlichkeit. Eine direkte wäre peinlich gewesen, so etwas gab es bei den Bauern nicht. Die Liebe hat sich als Frage verkleidet. Nur so ließ sie sich ließ sich trocken sagen, im Befehlston wie die Handgriffe der Arbeit. Daß die Stimme schroff war, unterstrich sogar die Zärtlichkeit. Jeden Morgen war ich ein Mal ohne Taschentuch am Tor und ein zweites Mal mit einem Taschentuch. Erst dann ging ich auf die Straße, als wäre mit dem Taschentuch auch die Mutter dabei.”
Heute feiert Herta Müller ihren 57. Geburtstag. Wir wünschen ihr, dass ihr im neuen Lebensjahr jeden Tag ein Taschentuch gereicht wird – und uns wünschen wir weiterhin mehr von ihrer sprachmächtigen Literatur.