Worte für das Namenlose

Frauke Schlieckau | Posted 05/09/2010 | Autoren, Belletristik | Keine Kommentare »

Können Sie sich vorstellen wie es ist, als Kind beide Eltern zu verlieren? Wohl kaum, es sei denn Sie haben schon Roberto Bolanos Lumpenroman gelesen, in dem er die Geschichte von Bianca und ihrem Bruder erzählt, die nach dem Tod der Eltern allein in Rom zurückbleiben und sich mühsam mit Gelegenheitsjobs über Wasser halten. In klaren einfachen Worten lässt Bolano gekonnt die Ahnung davon aufscheinen, dass es Ereignisse gibt, auf die man sich einfach nicht vorbereiten kann und die für den Rest des Lebens tiefe Spuren hinterlassen:

„Unsere Eltern waren bei einem Autounfall gestorben, während ihres ersten Urlaubs zu zweit, auf einer Straße nahe Neapel, glaube ich, oder auf irgendeiner anderen furchtbaren Straße im Süden. Unser Auto war ein gelber Fiat, gebraucht gekauft, aber äußerlich wie neu. Was von ihm übrig war, glich einem grauen Blechknäuel. Als ich ihn auf dem Schrottplatz der Polizei sah, neben den anderen Unfallfahrzeugen, fragte ich meinen Bruder wegen der Farbe: ,War er nicht gelb?’
Mein Bruder nickte, gelb, na klar, aber das war vorher. Vor dem Unfall. Zusammenstöße verformen die Farbe oder verformen die Art, wie wir Farbe wahrnehmen. Keine Ahnung, was er damit sagen wollte. Ich fragte ihn das. Er sagte: Licht … Farbe … alles. Ich dachte, den Ärmsten hat es noch schlimmer erwischt als mich.“

Wohlfühlliteratur ist er nicht, der im schwarzen Einband erschienene Lumpenroman, aber ein Vergnügen für all jene, die sich nicht davor scheuen, mittels der Literatur mit den dunklen Seiten des Lebens in Berührung zu kommen. „Bolano hat bewiesen, dass die Literatur dazu fähig ist, die Übel unserer Welt aufzudecken und für das Namenlose Worte zu finden“ lobt die New York Times den chilenischen Autor, der seit 1976 im spanischen Exil lebte und 2003 in Barcelona starb.

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Titel:
Lumpenroman

ISBN-13:
9783446235465

Autor:
Roberto Bolaño

Verlag:
Hanser

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