Bilder statt Buchstaben
Books | Posted 17/12/2010 | Literatur im Kino | Keine Kommentare »«Harry Potter und die Heiligtümer des Todes 1» ist der erfolgreichste Film dieses Herbstes – und wie jeder zweite Streifen, der ins Kino kommt, eine Literaturverfilmung. Warum ist Literatur für die Filmemacher so wichtig? Und was braucht es, damit der Medientransfer vom Buch zum Film gelingt?
Die Bilder hatten gerade laufen gelernt und standen auf noch sehr wackligen Beinen – doch bereits da wagten sich die Gebrüder Lumière an einen der bekanntesten Stoffe überhaupt: 1896 zeigten sie ihrem staunenden Publikum eine ultrakurze Version von Goethes «Faust». Was die Erfinder der Cinématographie veranlasste, ausgerechnet dieses hochreflexive und actionarme Theaterstück zur Vorlage eines Stummfilms zu machen, bleibt wohl für immer ihr Geheimnis. Sie begründeten damit aber eine Kino-Tradition: die Verfilmung von Literatur.
«Faust» ist seither Dutzende Male verfilmt worden – demnächst wird eine neue Version mit Moritz Bleibtreu als Mephisto gedreht. In den Anfangszeiten des Kinos konnten Regisseure etwas gegen das Schmuddelimage des Films tun, wenn sie Goethes Drama verfilmten. Eine ähnliche Motivation trieb vermutlich auch Richard Burton zu seinem Film «Doktor Faustus» an, mit dem er seine Gattin Elizabeth Taylor ins beste Licht rückte. Bei den meisten Literaturverfilmungen steht aber wohl kaum im Vordergrund, dass sich die Filmer als besonders kultiviert darstellen möchten. Die Verfilmung eines Buchs bietet viele andere gewichtige Vorteile. Erstens hat sich der Stoff in Buchform bereits bewährt; die Filmemacher wissen, dass die Geschichte «funktioniert», und sie gehen daher kein besonderes Risiko ein. Zweitens garantiert der Erfolg eines Buchs dem Film eine grosse Aufmerksamkeit und ein zuweilen riesiges Fanpublikum – siehe Harry Potter. Drittens ist der Bedarf der Filmindustrie an Geschichten so immens, dass jeder gute Stoff sofort die Aufmerksamkeit von Regisseuren auf sich zieht.
Jeden Tag eine Literaturverfilmung
Man schätzt, dass rund die Hälfte aller Filme auf bereits publizierten Büchern basiert. Literaturverfilmungen sind eine derartige Selbstverständlichkeit, dass es bei den Oscar-Verleihungen jeweils zwei Drehbuch-Preise zu gewinnen gibt: den Oscar für das beste Originaldrehbuch, das auf keiner zuvor veröffentlichten Publikation basiert, und den Oscar für das Drehbuch nach einer literarischen Vorlage. 2010 gewann «The Hurt Locker» als bestes Originaldrehbuch, «Precious» galt als beste Adaption – das Drehbuch basierte auf dem Roman «Push» der US-Autorin Sapphire. Schaut man, welche Drehbücher in den letzten Jahren als beste Adaptionen ausgezeichnet wurden, erkennt man, wie wichtig die Literatur fürs Kino ist: «Slumdog Millionaire», «Brokeback Mountain», «A Beautiful Mind», sie alle sind Literaturverfilmungen. Doch so verbreitet der Medientransfer vom Buch zum Film auch ist – er bleibt keineswegs ohne Risiken und Nebenwirkungen. «Das Buch hat mir aber besser gefallen!» ist vermutlich jener Satz, den man am meisten hört, wenn man ein Kino verlässt…
Text: Marius Leutenegger
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