Nicht verrückt, aber extravagant…

Petra Bohm | Posted 04/12/2010 | Autoren, Biografien, Sachbuch | Keine Kommentare »

…das ist nicht nur des der Untertitel des neuen Buches von Halldór Gudmundsson, es war auch mein erster Gedanke, als ich entdeckte, dass der isländische Intellektuelle ein Buch über die Wirtin eines Frankfurter Kellerlokals geschrieben hat und gerade das machte mich neugierig…

Warum also nach der Biografie über Halldór Laxness, die mit dem Isländischen Literaturpreis ausgezeichnet wurde und dem 2009 erschienenen Wirtschaftsbestseller “Wir sind alle Isländer – Von Lust und Frust, in der Krise zu sein” nun ein Buch über eine polnische Wirtin?

Schon 1986 lernte Halldór Gudmundsson “Mamutschka”, die eigentlich Marianne Kowalew heisst, auf der Frankfurter Buchmesse kennen. Das Haus war für seine polnischen Feste berühmt, und neben Ivan Rebroff und Ray Charles trugen sich auch andere Berühmtheiten wie Cliff Richard oder die Jackson five in das Gästebuch ein. Bald war für den Autor und seine isländischen Freunde der jährliche Abend im Kellerrestaurant “Scarlet Pimpernel” der Höhepunkt der Buchmesse. Die Wirtin hatte die büchernarrischen Isländer, die jedes Jahr im Oktober nach Frankfurt kamen, in ihr großes Herz geschlossen und besonders den etwas schmächtigen Halldór Gudmundsson. So „adoptierte“ sie das grossmutterlose „Kind“.

Das Buch über die extravagante Dame ist in “sechs Besuche” eingeteilt. „Der erste Besuch“ handelt vom Entschluss des Autors, das abenteuerliche Leben der „polnischen Grossmutter“ aufzuschreiben, und von seiner nicht ganz einfachen Wandlung vom „Kind“ zum Biographen. Und so vertieft er sich in die abenteuerliche Lebensgeschichte der Marianne Kowalew, die in ärmlichen Verhältnissen an der Grenze zu Weißrussland aufwuchs, von zu Hause weglief, sich in den Spross einer reichen Industriellenfamilie in Vilnius verliebte und mit ihrem Mann Ende des Zweiten Weltkrieges nach Frankfurt flüchtete, wo sie von den Deutschen verhaftet wurde. Kurz nach der Geburt ihres einzigen Sohnes Peter früh Witwe geworden, eröffnet Mamutschka, wie sie von allen genannt wird, 1955 ihr erstes Restaurant in Frankfurt. Es ist die Zeit der Edelnutte Nitribitt, und es geht hoch her in der Stadt. Binnen kurzem ist das Vermögen verspielt und sie muss sich als Küchenhilfe über Wasser halten. Ende der sechziger Jahre eröffnet sie dann, zusammen mit ihrem Sohn Peter, das legendäre Scarlet Pimpernel in der Krögerstraße 7.

Als Biograf des isländischen Nobelpreisträgers Laxness daran gewöhnt, sich mit Männern auseinanderzusetzen, die das 20. Jahrhundert in ihren Werken reflektierten, war Gudmundsson von Anfang an damals vom unerbittlichen Kommandoton und dem „ausdrucksvollen, eigentümlich reizvollen Gesicht“ unter dem Turban der inzwischen 97jährigen Wirtin schwer beeindruckt.

Wer jetzt neugierig geworden ist, kann sich auf der Website des “Scarlet Pimpernel Club” der inzwischen von Mamutschkas Sohn Peter geführt wird, einen kleinen Überblick über das aufregende Leben der Wirtin verschaffen. http://scarlet-pimpernel-club.com/historie.html

Und wer mehr wissen will, sollte sich unbedingt Gudmundssons charmante, mit einer guten Portion Humor gewürzte Biografie über diese originelle lebensmutige Frau zulegen.

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Titel:
Mamutschkas Lebensrezepte: Ich bin nicht verrückt, aber extravagant

ISBN-13:
9783442752287

Autor:
Halldór Gudmundsson

Verlag:
btb Verlag

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