Jeder stirbt für sich allein

Frauke Schlieckau | Posted 20/03/2011 | Autoren, Belletristik | Keine Kommentare »

„Wer einen Roman von Thomas Mann aufschlägt, betritt ein großzügiges Haus. Wer einen Roman von Hans Fallada aufschlägt, eine schlecht gelüftete Stube“, schreibt Sebastian Hammelehle im Spiegel über die Literatur von Hans Fallada. Die nun im Aufbau Verlag erschienene und erstmals ungekürzte Fassung von „Jeder stirbt für sich alleine“ zeigt: Auch ein Besuch in ungelüfteten Stuben kann sich lohnen…

Dass Hans Fallada, alias Rudolf Ditzen, in der großen Welt der Literatur trotz zahlreicher erfolgreicher Buchveröffentlichungen niemals richtig ernst genommen wurde, mag daran liegen, dass er seine Geschichten mit Vorliebe aus der Sicht einfacher Leute erzählt. Das gelang dem Autor, der 1947 nach jahrelanger Morphiumsucht starb, vor allem deswegen, weil er sich zu diesem Zwecke ihres Tonfalls bediente, ihrer Engstirnigkeit, Unbedarft- und Begrenztheit. Wer sich die Sprache und Denkweise seiner Figuren so zu eigen macht wie Hans Fallada, wer so tief in ihr Alltagsleben eintaucht, wer mittels der von ihm erfundenen Menschen die Profanität des Lebens zeichnet, dabei auf stilistische Kunstgriffe und innovative Mosaiktechnik à la Döblin in Berlin Alexanderplatz aber verzichtet, der taugt – vermeintlich – nicht für die große Bühne.

Dabei zeigt Hans Fallada mit „Jeder stirbt für sich alleine“ durchaus, dass er zu den nennenswerten Literaten dieses Landes gehört. Mit klaren Worten, einfach und eindringlich zeichnet er das Schicksal und den inneren Wandel des Berliner Ehepaars Quangel nach. Anna Quangel – Frau, die Führergehorsam zeigt und ihr Mann Otto, dessen größtes Anliegen es ist, unbescholten seine Arbeit zu tun, beginnen, nachdem sie die Nachricht erhalten, dass ihr Sohn an der Front gefallen ist, umzudenken und mausern sich zu Widerstandskämpfern im kleinen Format. Anna und Otto schreiben Widerstandsbotschaften auf Karten, die sie in ganz Berlin verteilen, immer davon träumend, ihre Nachricht würde gehört werden und sich etwas verändern – doch Kommissar Escherich ist ihnen bereits auf der Spur. Fallada wäre schließlich nicht der Autor der kleinen Leute, würde er die Geschichten mit einem Hollywood-Happy-End ausstatten.

Um das Ehepaar Quangel, das in der Berliner Jablonski-Straße in einem Mietshaus lebt, ordnet Fallada das ganze Spektrum jener Figuren an, die für das Nationalsozialistische System bezeichnend waren: Die Weggseher und Mitläufer, die zaghaften Widerstandskämpfer aus Abenteuerlust, deren Ambitionen sich bereits bei Aufzug der ersten Gefahr zerschlagen, berentete Richter, die alte jüdische Frauen in ihren Hinterzimmern verstecken und eine führertreue Familie deren Sprössling, der den Namen Baldur trägt, voll stolz in Uniform flaniert. Es wimmelt nur so von Parteigängern, Duckmäusern, betrunkenen Kleinkriminellen, Denunzianten und keifenden Frauen und wer sich bis auf Seite 150 vorgearbeitet hat, der ist bereits hier erschüttert, welch niedere Beweggründe es sind, die dem nationalsozialistischen System den Aufstieg ermöglichten: Machthunger, Gier, Abenteuerlust, Minderwertigkeitsgefühle, Dummheit, Verschlagenheit, Eifersucht, mangelndes eigenständiges Denken, die Sehnsucht des Deutschen aufgehoben zu sein in der Masse und die Verantwortung abzugeben. Fallada ist unerbittlich, auch dem Widerstand gönnt er als Entstehungswurzel keine heeren Motive: Anna Quangel will den Tod ihres Sohnes rächen, Otto Quangel die Tatsache widerlegen, dass Anna ihm Führertreue unterstellt und die Schuld an ihrem Unglück gibt.

Dass das Buch nun erstmals ungekürzt erscheint, trägt zu seinem momentan Erfolg, besonders in den USA, vor allem aber zu seiner Qualität bei. Anders als die bisher im Handel kursierende Variante, enthält die aktuelle Buchversion bisher gestrichene Worte, Absätze, gar ein ganzes Kapitel, die einst den Lektoren überflüssig schien, in der Tat aber nötig sind, um die Figuren in jenes ambivalente, widersprüchliche Licht zu tauchen, das der Geschichte die Hans Fallada in „Jeder stirbt für sich allein“ erzählt sein Gewicht verleiht.

Vermeintlich eingängig und kurzweilig, doch mit sich in bester Wirkung entfaltendem üblem Nachgeschmack, lässt uns Fallada aus den verschiedenen Perspektiven am Schicksal jener Menschen teilhaben, die Opfer eines Systems sind und dieses dennoch mit begründet und gestützt haben. Absolut lesenswert!

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Titel:
Jeder stirbt für sich allein: Roman

ISBN-13:
9783351033491

Autor:
Hans Fallada

Verlag:
Aufbau Verlag

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