Charles Lewinsky: das books-Interview
Books | Posted 18/09/2011 | Autoren, Belletristik, Orell Füssli | Keine Kommentare »Interview: Marius Leutenegger – Foto: Erik Brühlmann
Nach dem Grosserfolg «Melnitz» legt Charles Lewinsky wieder einen gewaltigen Roman vor: «Gerron». Im grossen books-Interview erzählt der Zürcher Autor, wie er zu seinem aufwühlenden Stoff kam, was ihn an seiner Hauptfigur interessierte und wie er für das Buch die passende Form fand…
books: «Gerron» erzählt die wahre Geschichte des Juden Kurt Gerron, der nach dem Ersten Weltkrieg Kabarettist und Schauspieler wird. Berühmt macht ihn seine Mitwirkung bei der legendären Erstaufführung von «Die Dreigroschenoper»; als Filmstar ist er in «Der blaue Engel» zu sehen, als Regisseur arbeitet er mit Heinz Rühmann und Hans Albers zusammen. Später landet er im KZ von Theresienstadt, wo der Lagerkommandant von ihm verlangt, einen beschönigenden Film über das Lagerleben zu drehen … Wie sind Sie auf Kurt Gerron und seine Geschichte gestossen?
Charles Lewinsky: Sehr naheliegend war das tatsächlich nicht. In den frühen 1930er-Jahren war Kurt Gerron zwar richtig berühmt, aber als ich während meinen Recherchen zu diesem Buch Kollegen nach ihm befragte, kannte ihn nur ein einziger. Viele erinnern sich an die Figur, die Gerron in «Der blaue Engel» spielte, aber sie verbinden diese nicht mit seinem Namen. Ich selber hörte einmal vor vielen Jahren eine Radiosendung über Künstler, die im Holocaust ermordet wurden, und dort kam Kurt Gerron vor. Seither brachte ich seine Ge- schichte nicht mehr aus dem Kopf.
Was hat Sie denn daran interessiert?
Schwer zu sagen. Vielleicht kennen Sie das Gefühl, dass Ihnen eine Melodie im Ohr hängt. Bei mir ist es manchmal ein Gedanke, den ich nicht loswerde – dann muss ich ihn irgendwann verarbeiten, um ihn abhaken zu können. An Gerrons Geschichte hat mich zum Beispiel die Frage bewegt, warum er nicht rechtzeitig in die USA ging wie seine Kollegen Peter Lorre und Marlene Dietrich. Und noch mehr hat mich wohl der Auftrag beschäftigt, den er vom Lagerkommandanten erhielt. Gerron stand vor einer Entscheidung über Leben und Tod: Soll er diesen Propagandafilm drehen und alles verhöhnen, was er selber erlebt? Oder soll er ablehnen – und in Kauf nehmen, dass er und seine Frau sofort nach Auschwitz kommen?
Man kann sich kaum vorstellen, dass jemand in Gerrons Situation einen solchen Auftrag ablehnen würde. Gab es für ihn tatsächlich einen inneren Konflikt?
Das kann man nicht beantworten. Das Filmdrehbuch ist zwar überliefert, ebenso ein Stapel Notizen von Gerron – doch über seine innere Verfassung in Theresienstadt wissen wir nichts. Ich habe die wenigen bekannten Fakten als Leinwand genommen, um darauf mein Porträt von Kurt Gerron zu zeichnen. Das Buch ist keine Biographie, sondern gibt wieder, wie ich mir Gerron vorstelle. Und ich kann mir schon vorstellen, dass er einen inneren Konflikt austrug.
…
Wie lange haben Sie am Buch gearbeitet?
Drei Jahre lang. Ich recherchiere und schreibe parallel. Beim Schreiben merke ich erst, welche Informationen mir noch fehlen.
Gibt es nach der langen Beschäftigung mit Kurt Gerron noch Lücken in Ihren Recherchen, die Sie gern füllen würden?
Ja, ich würde zum Beispiel wahnsinnig gern wissen, wie Gerron seine Frau Olga wirklich kennenlernte. Wie kommt ein Schauspieler aus Berlin zu einer Röntgenassistentin aus Hamburg?
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