Ian Rankin: Das dunkle Herz der Schuld
Hannah Gi | Posted 19/09/2011 | Belletristik | Keine Kommentare »„Marys Mutter hob ihr Gesicht zum Himmel und betete noch inbrünstiger (…) ´Aber unsere Reserven sind nicht grenzenlos, Herr. Hilf uns in unsere Not. Hilf meiner Mary, alles zu überstehen. Sie ist jung. Vergib ihr, wenn möglich (…) Und Herrgott, bitte, lass das Baby bei der Geburt sterben. Ich flehe dich an, lass das Baby sterben. Amen`“
Als Kriminalautor ist Ian Rankin weltberühmt, sein 1986 erster überhaupt veröffentlichter Roman hingegen war lange in der Versenkung verschwunden, wurde erst jetzt ins Deutsche übersetzt und vom Goldmann Verlag herausgegeben. Rankin selber warnt den Leser, er sei sehr jung gewesen, als er dieses „Buch über die Gefahren und Fallgruben des Erwachsenenlebens“ schrieb – vermutlich sind ihm gerade deshalb die jugendlichen Charaktere besonders lebensnah und glaubwürdig geraten…
Als Mary Miller als kleines Mädchen von einem Spielkameraden in einen Bach gestoßen wird und fast ertrinkt, werden ihre Haare über Nacht silbergrau und sie erfährt große Anteilnahme in dem kleinen schottischen Bergbaudorf, in dem sie zu Hause ist. Das ändert sich, als der Missetäter später bei einer Grubenexplosion ums Leben kommt, und böse Gerüchte umgehen, sie sei „eine Hexe“. Von da an wird sie zwar geduldet, aber gemieden; als sie später auch noch ein uneheliches Kind zur Welt bringt und den Vater nicht nennen will, kursiert noch weit bösartigerer Klatsch, und ihre Familie zerbricht – Marys mittlerweile arbeitsloser und trinkender Vater nimmt seine Version der Geschehnisse schließlich mit ins Grab.
Mit dem wirtschaftlichen Niedergang der Kleinstadt ist auch das Schicksal seiner Bewohner besiegelt und das Leben dort wird immer trostloser. Mary und auch ihr Sohn Sandy suchen ihr Glück in der Liebe, aber beide müssen scheitern, solange Mary ihr Geheimnis um Sandys Vater nicht preisgeben will.
„Das dunkle Herz der Schuld“ ist ein toll geschriebener Roman, bei dem man Menschen und Schauplatz so lebendig vor Augen hat, dass man meint, dabei zu sein. Und ich habe selten ein so intensives Porträt eines pubertierenden, verliebten Jugendlichen gelesen, wie Rankin das bei Sandy gelungen ist.
Von weiteren Auslegungen nehme ich nach Lektüre des Nachwortes, verfasst von Rankin selber, Abstand, er beschreibt ein Literaturseminar über sein Erstlingswerk an der Universität Edinburgh, an dem er inkognito teilnahm, so: „Einer der Teilnehmer … hielt ein Referat über die Ödlandbilder meines Romans, ein anderer stellte die Themen und Anleihen vor, die aus dem Alten und Neuen Testament stammten, während ein dritter eine gründliche Untersuchung über die Verwendung von Wetter und Farben vortrug. Irgendwann schrieb ich mit, denn die Referate waren wirklich gut! Von mir geplant, waren die Zusammenhänge nicht, wenn der Leser sie jedoch sah, sollte es mir nur recht sein…“