Boualem Sansal
Petra Bohm | Posted 09/10/2011 | Autoren, Veranstaltungen und Preise | Keine Kommentare »Der algerische Schriftsteller erhält den Friedenspreis des Deutschen Buchhandels 2011. Mit der diesjährigen Wahl des Friedenspreisträgers will der Börsenverein ein Zeichen setzen für die Demokratiebewegung in Nordafrika…
In der Begründung des Stiftungsrats heißt es: „Den Friedenspreis des Deutschen Buchhandels verleiht der Börsenverein im Jahr 2011 Boualem Sansal und ehrt damit den algerischen Schriftsteller, der als leidenschaftlicher Erzähler, geistreich und mitfühlend, die Begegnung der Kulturen in Respekt und wechselseitigem Verstehen befördert. Boualem Sansal gehört zu den wenigen in Algerien verbliebenen Intellektuellen, die offen Kritik an den politischen und sozialen Verhältnissen üben. Mit seinem hartnäckigen Plädoyer für das freie Wort und den öffentlichen Dialog in einer demokratischen Gesellschaft tritt er gegen jede Form von doktrinärer Verblendung, Terror und politischer Willkür auf. Dabei richtet sich sein Blick nicht nur auf die Heimat, sondern auf die ganze heutige Welt.“
Seit 1950 verleiht der Börsenverein des Deutschen Buchhandels, die Berufsorganisation der Verlage und Buchhandlungen in der Bundesrepublik Deutschland, den Friedenspreis des Deutschen Buchhandels. Er ist mit einer Preissumme von 25.000 Euro verbunden, die von den Verlegern und Buchhändlern aufgebracht wird. Im Friedenspreis wird die Verpflichtung des Buchhandels, mit seiner Arbeit der Völkerverständigung zu dienen, eindrucksvoll sichtbar. Niemals fand ein von einem Berufsstand entwickelter und praktizierter Gedanke solch weltweite Anerkennung.
Die Verleihung findet traditionsgemäß während der Frankfurter Buchmesse am Sonntag, 16. Oktober 2011, in der Paulskirche statt und wird live im ZDF übertragen. Laudator Peter von Matt, geboren am 20. Mai 1937 in Luzern, studierte Germanistik, Anglistik und Kunstgeschichte in Zürich und Nottingham. Nach seiner Habilitation über E.T.A. Hoffmanns Imaginationslehre übernahm er 1976 die Professur für Literaturwissenschaft an der Universität Zürich.
Boualem Sansal, geboren am 15. Oktober 1949 in dem algerischen Bergdorf Teniet el-Had, wuchs im Arbeiterviertel Belcourt von Algier auf. Nach seiner Promotion in industrieller Ökonomie übernahm er 1986 den Posten des Generaldirektors einer Consulting-Firma, wurde 1992 zum Berater des Handelsministeriums berufen und 1996 zum Generaldirektor im Ministerium für Industrie und Umstrukturierung ernannt. Unter dem Eindruck der Ermordung des algerischen Präsidenten Boudiaf im Jahr 1992 und der politischen Realität des vom Bürgerkrieg gebeutelten Landes beginnt er 1996 mit seinem ersten Roman »Der Schwur der Barbaren« (dt. 2003), der 1999 vom französischen Verlag Gallimard veröffentlicht wird. Die in der Geschichte offen geäußerte Kritik an der politischen Situation in Algerien veranlasst seinen Verlag, ihm zu raten, den Roman unter Pseudonym zu veröffentlichen, was Sansal jedoch ablehnt. Mit der Veröffentlichung des Romans in Algerien wird er von seiner Arbeit im Ministerium beurlaubt.
Nach zwei weiteren Romanen erscheint 2003 das »Journal intime et politique«, das Boualem Sansal zusammen mit vier weiteren algerischen Schriftstellern als politisches Tagebuch über die Situation Algeriens 40 Jahre nach seiner Unabhängigkeit führt. Wegen seiner kritischen Äußerungen über den algerischen Präsidenten Bouteflika wird er endgültig aus dem Staatsdienst entlassen. 2006 veröffentlicht Sansal einen offenen Brief an seine Landsleute. Unter dem Titel »Postlagernd: Algier. Zorniger und hoffnungsvoller Brief an meine Landsleute« (dt. 2008) fordert er, über den algerischen Kontext hinaus, eine wahrhaftige Demokratie, in der die Vision einer aufgeklärten Weltbevölkerung Gestalt annehmen könnte. Nach der Veröffentlichung werden Sansals sämtliche Bücher in Algerien auf den Index gesetzt. Trotz des wachsenden politischen Drucks entscheidet er sich, in seinem Heimatland zu bleiben. Sein jüngster Roman »Das Dorf des Deutschen« (2008; dt. 2009) wird mit zahlreichen Preisen ausgezeichnet und erscheint erstmals neben Französisch und Deutsch auch in anderen Sprachen.
Das Dorf des Deutschen: Das Tagebuch der Brüder Schiller
Boualem Sansal verbindet in seinem Roman die Tabuisierung des Holocausts in der arabischen Welt mit der tristen Realität der Einwanderer in den europäischen Vorstädten und den Methoden der Islamisten.Dies ist die Geschichte des Deutschen Hans Schiller und seiner beiden Söhne Rachel und Malrich. Die Brüder wuchsen fernab der Eltern in der Pariser Banlieu auf. Sie sind in Frankreich geblieben. Rachel hat Karriere gemacht: er hat einen guten Job, ein kleines Häuschen, ein Auto, eine Frau – und die französische Staatsangehörigkeit. Sein jüngerer Bruder Malrich steht am Rande der Gesellschaft: ohne Ausbildung, ohne Job und ohne Perspektive lebt er als Mitglied seiner multikulturellen Clique in der Vorstadt. Als die Eltern der beiden im fernen Algerien auf grausame Weise bei einem Attentat der Islamisten umgebracht werden, gerät das Leben der Brüder aus dem Lot. Die Trauer um die Eltern bringt zugleich eine erschütternde Erkenntnis zu Tage: Der Vater, den sie bisher als einen vielgeachteten Held des algerischen Unabhängigkeitskampfes kannten, hat eine unerträgliche Vergangenheit … Rachel zerbricht daran; Malrichs Versuch zu verstehen, führt ihn von der Nazi-Vergangenheit seines Vaters in die Abgründe der Gegenwart.