Meister der großen Gefühle
Petra Bohm | Posted 29/11/2011 | Belletristik | Keine Kommentare »Ich kann mich wirklich nicht erinnern, dass mir schon beim ersten Kapitel eines Romans die Tränen gekullert sind – Nicholas Evans hat es mit seinem neuen Roman “Die wir am meisten lieben” geschafft…
… und genau genommen ist dieses erste Kapitel auch nicht der Anfang der tragischen Geschichte um den englischen Jungen Tommy, denn Evans verwebt geschickt 3 Zeitebenen und erzeugt damit neben einer sehr emotionalen Geschichte zugleich Hochspannung, die mich die 366 Seiten in einem Rutsch (naja fast) hat durchlesen lassen. Im Gegensatz zu einem (zumindest von mir) ungeahnten Geheimnis, das nicht nur den Protagonisten Tommy, sondern auch den Leser rund 100 Seiten später wie einen Keulenschlag trifft, darf der Einstieg hier aber verraten werden:
Da lernt man also einen 13jährigen kennen, der seine Mutter, die eine Mörderin zu sein scheint, offensichtlich zum letzten Mal vor deren Hinrichtung in einem amerikanischen Gefängnis besucht. Schnitt.
Zeitsprung zurück: England 1959. Tommy ist 8 Jahre alt und nicht besonders glücklich. Seine Mutter trinkt ganz gerne einen über den Durst und der Vater hält sich mit Liebesbekundungen zurück. Trotzdem kümmert man sich ordentlich um das Kind dieser bürgerlichen britischen Mittelstandsfamilie. Das Bettnässen des Sohnes bekommt man trotz einiger, scheints liebevoller und dennoch nur praktisch orientierter Mühen nicht in den Griff. Einziger Trost des Jungen sind die allwöchentlichen Besuche seiner talentierten schauspielenden großen Schwester Diane aus London und die Western im Fernsehen, mit deren Helden er sich identifiziert.
Zeitsprung vor: USA – Zur Zeit des Irakkrieges. Aus Tommy ist Tom geworden. Er ist anerkannter Journalist und Dokumentarfilmer, geschieden und hat einen erwachsenen Sohn, dem man vorwirft, im Irak an einem Massaker an Zivilisten beteiligt zu sein.
1959: Tommy muss ins Internat und leidet dort furchtbar. Zweites Internatssemester: Seine Schwester ist inzwischen in Hollywood gelandet. Ihr Freund: einer der verehrten Westernstars. Er und Diane holen den Jungen zu sich nach Amerika.
Zeitsprung nach vorne: Wir erfahren: Tom war seinem Sohn kein guter Vater, hatte zuviel mit seinem eigenen Alkoholproblem zu tun. Sie haben seit Jahren keinen Kontakt mehr. Er will seinem Sohn helfen – und eine alte Schuld begleichen.
Sprung zurück nach Hollywood in die Sechziger Jahre…
So – und mehr wird hier nicht verraten. Unbedingt selber lesen. Nicht nur dank des männlichen Hauptdarstellers ein Roman, der auch Männern viel Lesevergnügen bereiten wird. Auch wenn sich manche Kritiker garantiert über die teilweise sehr emotionalen Szenen beschweren werden: Für mich defintiv kein Kitsch. Und natürlich: Die garantierte Verfilmung sieht man schon in jedem Kapitel zwischen den Zeilen hindurchleuchten. Aber warum nicht?
Nicholas Evans wuchs in Worcestershire, England auf. Er studierte Rechtswissenschaften an der Oxford University und arbeitete als Journalist. Von 1982 an schrieb er fürs Fernsehen und Kino.1993 traf er einen Schmied, der ihm von einem Pferdeflüsterer erzählte. Evans begann an seinem ersten Roman zu arbeiten, der in 36 Sprachen übersetzt und ein Megabestseller wurde. Verfilmt wurde das Buch mit Robert Redford. Auf seinen neuen Roman musste das Publikum über fünf Jahre warten, weil er wegen einer schweren Pilzvergiftung zwei Jahre lang jeden Tag zur Dialyse musste.
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