Hat dieses Leben einen Notausgang?

admin | Posted 26/01/2012 | Belletristik, Biografien, Sachbuch | Keine Kommentare »

Andreas Altmann ist all jenen, die gern auf Reisen sind, sofort ein Begriff: Seine Bücher und Reisereportagen sind inzwischen preisgekrönt. Jetzt aber hat Altmann eine Reise dokumentiert, die weit über die Schilderungen aus fernen Ländern hinausgeht…

Der Autor hat, und man nimmt den Mund sicher nicht zu voll, wenn man bereits zu Beginn erwähnt, dass es sich hierbei um die größte und strapaziöseste Reise seines Lebens handelt, ein Buch über seine traurige Kindheit geschrieben. In „Das Scheißleben meines Vaters, das Scheißleben meiner Mutter und meine eigene Scheißjugend“ erzählt Altmann detailliert, schonungslos und wortgewaltig von seinen frühen Kinderjahren, einem Leben zwischen Kirchengang und Gewalt am Mittagstisch, zwischen dem Betteln nach Liebe und der Angst vor Prügel, sei es vom Vater oder den Lehrern in der Schule. Ein Leben zwischen Verzweiflung, Wut, Trauer, Religion, Sünde und der Hoffnung, sich – sei es auch nur für ein paar Minuten – aus dem Sog dieses Sumpfes zu befreien.

Andreas Altmann hat bereits als Kind zu spüren bekommen, wie es sich anfühlt, nicht geliebt und weggestoßen zu werden, und im Grunde weiß das Kind in ihm heute noch immer nicht, woran es genau gelegen hat.

Die Reise des Autors in seine Vergangenheit ist nicht nur so etwas wie eine Aufarbeitung oder Abrechnung mit seinem gewalttätigen Vater – ein Widerling von Mensch – es ist auch eine Suche nach Antworten auf Fragen, die Altmann sich in seinem Leben hundertfach gestellt haben muss: Warum ich? Warum mein Vater? Wie wurde er zu diesem gottverdammten, prügelnden Schwein, das die Mutter erniedrigte, ihn und seinen Bruder quälte, und den die Nachbarschaft als freundlichen Devotionalien-Verkäufer kannte? Man hat beim Lesen manchmal ein bisschen das Gefühl, dass Altmann viele dieser Fragen nicht mehr beantwortet haben muss, weil das Schreiben selbst längst die Antwort ist.

„Das Scheißleben meines Vaters, das Scheißleben meiner Mutter und meine eigene Scheißjugend“ ist nicht nur die wortgewaltige Abrechnung des Autors mit seinem „Erzeuger“, es ist auch eine Hass-Schrift auf die katholische Kirche und seine Heimatstadt Altötting, ein schmieriger Wallfahrtsort, dessen Straßen mit Holzkreuzen gesäumt sind und wo sonntags immer hübsch brav um die gleiche Uhrzeit zum Gottesdienst geläutet wird. Dann machen sich die Kinder fein, die Väter ziehen ihren Zwirn an und in der Andacht beten alle das Vater Unser. Aber das ist, man weiß es längst, nur die oberflächliche Fassade. Altmann lässt kein gutes Haar an diesem Ort, er berichtet davon, wie sein Religionslehrer die Mädchen in seiner Klasse betatschte und wie der Pfarrer, der vertrauensvolle, nach dem Missbrauch den Kollektebeutel durch die Reihen gehen ließ und fromm das Weihrauchfass schwenkte.

Die Geschichte des Autors, die den Leser sofort in ihren Bann zieht und nur schwer wieder loslässt, beginnt in den Vierziger Jahren. Es ist eine Geschichte über den Wunsch nach einem warmen Elternhaus, der Suche nach Liebe und Geborgenheit und die Geschichte über einen prügelnden, mit Schuld beladenen Vater, über den der Autor selbst sagt, dass er nicht böse geboren wurde und nur schwach war. Wann war der Moment, als Altmanns Vater an der Stelle stand, wo er sich zwischen Gut und Böse entscheiden konnte? Hat es diesen Moment je gegeben? Und war es wirklich nur eine Form von Schwäche, dass er sich für das Böse entschied?

Altmann kehrte als 18-Jähriger seiner Familie und seiner Heimat den Rücken. Er hat anschließend vieles ausprobiert, sei es ein Jurastudium oder einen „anständigen“ Beruf zu erlernen. Wenig glückte. Dann kamen die Reisen und einhergehend mit der Rastlosigkeit heilten die Wunden. Aber nie ganz ab! Und der Schorf, der sich jahrzehntelang wie eine Decke über Altmanns Herz gelegt hat, sorgt dafür, dass der Autor einen so schonungslosen, nie larmoyanten Einblick in seine zerrüttete Kindheit gewähren kann und den Leser mitreißt, in eine Welt voller Gewalt und Scheinheiligkeit. Hin- und wieder sucht man zwischen diesen wuchtigen Zeilen nur eines: den Notausgang, den Andreas Altmann nicht hatte.

Text: Verena Maria Dittrich

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Titel:
Das Scheißleben meines Vaters, das Scheißleben meiner Mutter und meine eigene Scheißjugend

ISBN-13:
349205398X

Autor:
Andreas Altmann

Verlag:
Piper

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