Kokovorismus ?
Petra Bohm | Posted 14/02/2012 | Belletristik | Keine Kommentare »Ja, diese “Religion” gab es wirklich und wenn uns auch gerade bei diesem Wetter die Vorstellung eines (nackten) Lebens unter Palmen in der Südsee verlockend erscheinen mag, hat die einseitige Ernährung mit Kokosnüssen den “Erfinder” dieser Lebensart 1919 das Leben gekostet. Dafür darf der durchgeknallte Apotheker August Engelhardt im neuen Roman des Schweizer Autors Christian Kracht die Hauptrolle spielen…
Nun hält sich Kracht in seiner Südseeballade nicht strikt an die Biografie seines schrägen Protagonisten, obwohl diese allein schon genug Stoff hergegeben hätte. Munter fügt er das eine oder andere hinzu, verändert, spielt aber auch mit Bezügen zu Hitler und Nazideutschland. Dabei ist die absurde Aussteigergeschichte trotz dieser Denkanstöße leicht und locker zu lesen und bewahrt immer ironische Distanz. Das aber nehmen einige Rezensenten dem Autor übel – andere wiederum sind begeistert. Wie immer: am besten selbst eine Meinung bilden! Wir finden: die Lektüre der 256 Seiten lohnt sich in jedem Fall! (Und die der meisten Rezensionen auch!)
Andreas Fanizadeh von der taz findet in diesem Imperialismus-Roman nur fade Reiseprosa, wie sie auch “Pauschalreisende” verfassen könnten. Das ganze ist ihm zu klamottig und er resümiert: “Schade, da war mal mehr drin”. Georg Diez wettert im Spiegel auf 4 Seiten gegen den Roman: “Imperium” sei eine “krude Geschichte”, die einen Hitler ohne Hakenkreuz und Holocaust erfindet und von Anfang an “durchdrungen von einer rassistischen Weltsicht” sei.
Felicitas von Lovenberg schwärmt dagegen in der FAZ: …”Dieser Ritter der Kokosnuss ist eine derart kuriose Figur, dass man ihn erfinden müsste, wenn es ihn nicht tatsächlich gegeben hätte.”(…)”Was Daniel Kehlmann mit der „Vermessung der Welt“ unter anderem gelang, nämlich die Neuerfindung des historischen Romans mit den Mitteln der Sprache und höherer Ironie, das schafft Kracht hier für das Genre Abenteuerroman.” Und auch Adam Soboczynski in der ZEIT ist begeistert von Christian Krachts in seinen Augen bestem Roman. “Existenzieller Schmerz” sei hier einer “gut gelaunten Erzähllust” gewichen.
Kurios übrigens auch der Wikipedia-Eintrag zum realen Engelhardt:
…”Ausgehend davon, dass die Sonne der verehrungswürdige Quell allen Lebens sei, behauptete er, die Kokosnuss sei die Frucht, die der Sonne am nächsten wächst, und darum die vollkommenste Nahrung des Menschen. Diese Anschauung, Kokovorismus genannt, gipfelte in Engelhardts Aussage, der ständige Verzehr von Kokosnüssen führe den Menschen in einen gottähnlichen Zustand der Unsterblichkeit. Je weiter Engelhardt seine Philosophie des Kokovorismus ausarbeitete, desto abwegiger wurden seine Aussagen. So behauptete er, das edelste Organ des menschlichen Körpers sei das Gehirn, da es sich der Sonne am nächsten befinde; er bestritt, dass ein so edler Körperteil seine Kraft vom tiefliegenden und schmutzigen Verdauungstrakt erhalte, und meinte stattdessen, das Hirn beziehe seine Energie aus den Haarwurzeln, die ihrerseits vom Sonnenlicht ernährt würden. Aus diesem Grunde sei das Tragen jeglicher Kopfbedeckung schädlich…”
Auch Marc Buhl hat übrigens einen Roman über Engelhardt geschrieben – Richard Kämmerlings empfiehlt in der WELT: am besten beide Bücher lesen!