Algebra der Nacht
Petra Bohm | Posted 05/05/2012 | Belletristik, Historische Romane, Krimi | Keine Kommentare »In diesem Krimi(!!!) werden haufenweise falsche Fährten gelegt – doch das fängt leider beim Klappentext an, der mich mit einer (völlig falschen) Erwartungshaltung auf eine historische Mysterystorie fast an diesem wirklich spannenden Plot vorbeigeführt hätte – und DAS wäre wirklich schade gewesen…
Immerhin wurde der amerikanische Originaltitel “The school of night” geändert – zu groß wäre zusammen mit den Facts auf Klappe und Rückseite des Paperbacks (1603, England, schwarze Magie, verbotene Studien) sicherlich die Gefahr gewesen, das Ganze auch noch ins Reich der Zauberromane zu verbannen…
Vielleicht lag es auch an diesen Erwartungen, dass ich dann die ersten 50 Seiten gebraucht habe, um mit Protagonist und Ich-Erzähler Henry Cavendish warm zu werden. Der lebt nämlich höchst real und unverzaubert in Washington im Jahr 2009. Doch der langsame Anlauf lohnt sich: der Plot nimmt Fahrt auf und es zeigt sich, wie ausgefeilt und voller überraschender Wendungen und Erkenntnisse dieser Thriller mit historischen Elementen aufgebaut ist. Im Gegensatz zu Dan Browns Romanen bildet den Aufhänger zwar ebenfalls eine geheime Vereinigung des Mittelalters, doch angenehmerweise werden dem Leser wilde Verschwörungstheorien erspart. Nicht umsonst schreibt die NEW YORK TIMES: “Schnell ist man von diesem dunklen Rätsel gefangen genommen. Eine faszinierende Geschichte”.
Und darum geht’s “wirklich”
In Teil 1 des Buches lernen wir auf rund 80 Seiten den Historiker Henry Cavendish (40) kennen. Der ist gerade weder beruflich noch privat auf der Erfolgsschiene und ziemlich pleite. Gerade hat sich sein alter, steinreicher Studienfreund Alonzo Wax von einer Klippe gestürzt. Dieser war ein begeisterter Sammler historischer Dokumente des elisabethanischen Zeitalters und Henry wird testamentarisch zu seinem Nachlassverwalter bestimmt. Bald taucht ein unsympathischer Sammlerkollege auf und bietet ein hübsches Sümmchen für einen verschwundenen, 400 Jahre alten Brief, der sich in Alonzos Nachlass befinden soll. Das Geld kommt Henry gerade recht und so macht er sich auf eine – zunächst halbherzige – Suche nach dem alten Dokument. Der merkwürdige Kaufinteressent setzt Henry unter Zeitdruck und gerade als dessen fordernde Haltung droht gefährlich zu werden, geschieht ein Mord. Zufall? Bei Leser und Protagonist verdichten sich die Indizien, dass alles irgendwie mit diesem Brief zusammenhängt. Bei seinen Nachforschungen begegnet Henry der attraktiven und klugen Clarissa Dale. Sie wird hat seit einiger Zeit Visionen – Bilder eines Mannes, der ebenfalls vor ca. 400 Jahren gelebt haben muss. Der Autor des Briefes? Doch alles ist viel komplizierter. Henry und Clarissa stoßen bei ihrer Suche auf das Geheimnis eines vergessenen Genies aus dem 17ten Jahrhundert und geraten dabei in eine gefährliche Verschwörung.
Ab Teil 2 springt die Handlung dann häufig zwischen der Gegenwart und dem elisabethanischen England des Jahr 1603, der Entstehungszeit des geheimnisvollen Schriftstückes. Man erlebt beide Handlungsstränge parallel. Geschickt wird die Lebensgeschichte des Universalgelehrten Thomas Harriot und des geheimen “Gesprächszirkels” “Schule der Nacht” mit den Ereignissen der Gegenwart verwoben.
Genau wie Thomas Harriot gab es übrigens auch die “Schule der Nacht” und ihre anderen berühmten Mitglieder tatsächlich, wenn auch vielleicht unter anderem Namen. Größtes “Verbrechen” der intellektuellen Mitglieder: Sie waren allesamt Atheisten.
Wer jetzt neugierig geworden ist, sollte die rund 420 Seiten unbedingt selbst lesen, denn mehr darf ich hier in keinem Fall verraten, ohne einen großen Teil Spannung zu nehmen.
Louis Bayard arbeitet als freier Autor für The New York Times, Washington Post und Salon. Außerdem hat er mehrere historische Romane verfasst. Er lebt in Washington, D.C.