Die unwahrscheinliche Pilgerreise des Harold Fry
Petra Bohm | Posted 25/05/2012 | Belletristik | Keine Kommentare »Nach dem schwedischen Hundertjährigen, der “aus dem Fenster stieg und verschwand” macht sich nun ein englischer Rentner auf eine lange Pilgerreise und schafft es vermutlich auch auf die obersten Stufen der Verkaufscharts – bereits zwei Wochen nach Erscheinen steht er auf Platz 32…
Als die britische Autorin Rachel Joyce diesen Debütroman begann, lag ihr Vater krebskrank in einem Hospiz. Auch wenn es nicht von ihrem Vater handelt, hat sie dieses Buch auch geschrieben in der Hoffnung, ihn dadurch länger am Leben zu halten, da er es unbedingt lesen wollte.
Der Mittsechziger Harold Fry ist seit kurzem pensioniert, Langeweile bestimmt den grauen Alltag im Süden Englands. Seine Frau Maureen verachtet ihn, er geht ihr auf die Nerven. Entfremdet ist er auch von David, seinem Sohn. Dann erhält Harold einen Abschiedsbrief seiner früheren Kollegin und Vertrauten Queenie Hennessy, die an Krebs erkrankt in einem Hospiz im Sterben liegt. Er schreibt ihr ein paar Zeilen. Hilflos hat er ein verschämtes Dankeschön und ein Bedauern formuliert. Irgendwie will ihm das jedoch nicht reichen und so läuft er am Briefkasten vorbei, gibt spontan, per Telefon im Hospiz Bescheid, dass er sich auf den Weg macht und Queenie mit ihrem Sterben warten soll – er käme zu Fuß. So wandert er aus der Stadt hinaus und immer weiter, 87 Tage, 1000 Kilometer. Zu Fuß von Südengland bis an die schottische Grenze zu Queenies Hospiz. Er lernt unterwegs fremde Menschen kennen, lässt seine Vergangenheit Revue passieren. Dabei geht es um Geheimnisse, besondere Momente und zufällige Begegnungen, die einen Menschen von Grund auf verändern können, um Tapferkeit und Betrug, Liebe und Loyalität und auch um das unscheinbare Paar Segelschuhe auf dem Cover.
Doch der sympathische Protagonist ist kein seniler Spinner, sondern ein ganz normaler Mensch “wie du und ich”. Ich brauchte ein paar Seiten, um mich in die Situation einzulesen, aber dann nimmt die Geschichte auf leisen Sohlen Fahrt auf – und den Leser gefangen. Und der Plot hat gegen Ende auch noch eine überraschende Wendung zu bieten – es kommt nämlich doch viels ganz anders, als gedacht.
400 Seiten, die ohne Kitsch berühren, zum Nachdenken anregen, aber auch einfach “nur” unterhalten. Lesen! Bald!
Rachel Joyce weiß, wie man Menschen mit Worten ganz direkt berührt. Die Autorin hat über 20 Original-Hörspiele für die BBC verfasst und wurde dafür mehrfach ausgezeichnet. Daneben hat sie Stoffe fürs Fernsehen bearbeitet und auch selbst als Schauspielerin für Theater und Film gearbeitet. ›Die unwahrscheinliche Pilgerreise des Harold Fry‹ ist ihr erster Roman. Er erscheint in über 30 Ländern auf der ganzen Welt. Rachel Joyce lebt mit ihrem Mann und ihren vier Kindern in Gloucestershire auf dem Land.