Voller Fabulierlust und Tragikomik

Petra Bohm | Posted 07/09/2012 | Belletristik | Keine Kommentare »

Ich stecke noch mittendrin in diesem außergewöhnlichen Schelmenroman, der an vielen Stellen so surreal und dann wieder so schrecklich wirklich wirkt. Ganz klar ist aber jetzt schon: diese österreichische Lesesüßspeise ist ein literarischer Leckerbissen – und ich freue mich auf das Lesewochenende!

Ali ist 15 Jahre alt und kommt irgendwo aus Westafrika. Behauptet er vielleicht auch nur, denn seinen wahren Namen hat er – weil in seinen Augen zu kompliziert – mal eben aus seiner Biografie gestrichen und durch den weltweit geläufigen Ali ersetzt – wer weiss, ob er am Alter nicht auch “geschönt” hat, schönen musste, um vor dem Asylrecht noch als Jugendlicher zu gelten.

Autor Martin Horváth hat seinem jungen Protagonisten dazu einige “Superkräfte” verliehen und dieser geniale literarischen Kniff macht aus der eigentlich ernsten Geschichte ein scharfsichtiges, aber auch vor bissigem Spott strotzendes Buch. Ali beherrscht nämlich so ziemlich alle Sprachen der Welt, besitzt darüber hinaus die Altersweisheit eines älteren Mannes und kennt sich in sämtlichen armen Ländern der Welt bestens aus. Trotzdem ist er durch und durch pubertär, frech und dauerverliebt in die verschiedensten Mädchen. Die sind wie er Bewohner eines Heim für UMF ( unbegleitete minderjährige Flüchtlinge) in Wien. Kindersoldaten, Waisenkinder, zwangsprostituierte Mädchen, die ganze Palette des Flüchtlingselends. Aber es gibt auch erwachsene Asylanten, Einsame, Paare, ganze Familien. Sie alle leiden nicht nur unter den verschiedensten Traumata, immer lauert auch die Angst vor der (oft unberechtigten) Abschiebung zurück in das Elend der Heimat.

Ali hat es sich zur Aufgabe gemacht, seine Mitbewohner von ihren Ängsten und Albträumen zu befreien. Seine Wunderwaffe: Geschichten. Die, die er zu erzählen hat und die er von den anderen erzählt bekommt. Und die sind durch die Bank schrecklich. Aber durch den verschmitztem Charme seines Protagonisten, intelligente Wortspiele und teils groteske Überzeichnung vollbringt Martin Horváth das Kunststück, dieses ernstes Thema unterhaltsam und streckenweise komisch darzustellen.

Martin Horváth hat ein Debüt vorgelegt, das mit tausendundeiner Geschichte unterhält – und nachhaltig irritiert. Geschickt webt er einen Geschichtenteppich, der zuweilen auf surrealen Luftströmungen dahingleitet – und den er in einigen, erschütternden Passagen zur kunstvollen Bruchlandung bringt. Ein literarisch mutiges Debüt, das einen genauen und frischen Blick auf jene Menschen wirft, die von der Mitte der Gesellschaft gerne übersehen werden.” (WAZ – Westdeutsche Allgemeine Zeitung )

Im Verlagsinterview sagt der Autor:
Natürlich würde ich mit meinem Roman gerne die Welt verbessern, und es wäre schön, würden alle Fremdenhasser dieser Welt durch die Pflichtlektüre von Mohr im Hemd auf immer von ihrer Xenophobie geheilt. Nachdem das wohl eher nicht der Fall sein wird, stecke ich mir ein etwas bescheideneres Ziel: den Lesern die prekäre Lebenswelt von Flüchtlingen näherzubringen und zu einem entspannteren und konstruktiveren Dialog zu den Themen Asyl und Zuwanderung beizutragen.”

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Titel:
Mohr im Hemd oder Wie ich auszog, die Welt zu retten: Roman

ISBN-13:
9783421045478

Autor:
Martin Horváth

Verlag:
Deutsche Verlags-Anstalt

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