Blind vor Wut

admin | Posted 23/01/2013 | Autoren, Krimi | Keine Kommentare »

Kennen Sie das Gefühl, sich ein Buch zu erarbeiten, sich mit einem Roman so hart auseinandersetzen zu müssen, bis einem der Kopf raucht – und dann trotzdem die gebundenen Seiten nicht aus der Hand legen zu können, einfach, weil das Buch zu gut ist? Herzlich willkommen beim (im?) Werk von Jim Thompson.

Nein, es ist sicher keine einfache Kost dieses Buch. Nicht, weil „Blind vor Wut“ zu sperrig wäre, zu intellektuell geschrieben. Sondern weil der Titel wörtlich zu nehmen ist. „Blind vor Wut“, das ist Jim Thompsons Protagonist Allen Smith tatsächlich.

Wütend auf sich – als Sohn einer Weißen und eines Schwarzen hat er es Anfang der Siebziger in New York – das damals tatsächlich noch ein Moloch war – eben nicht leicht. Die Schwarzen werden immer noch diskriminiert, gehänselt, verprügelt.

Wütend auf seine Mutter – warum musste sie ausgerechnet mit einem Schwarzen, „dem man in Korea den Arsch weggeschossen hat“, rummachen? Könnte sie den Geburtsvorgang nicht einfach rückgängig machen?

Wütend auf alle Menschen um ihn herum – denn sie sind alle so dumm in ihrer beschränkten Weltsicht, sie alle können nicht sehen, in ihrem unwichtigen, tumben Leben.

Nun ist es nicht so, dass Allen nur ein ungezogenes Ghettokind wäre, das sich irgendeiner Gang anschließt um groß Bambule zu machen. Allen ist hochintelligent, hat die Militärakademie abgeschlossen (als einziger Schwarzer seines Jahrgangs). Doch seine Intelligenz ist kein Ausweg aus der Misere, denn die Verachtung für seine Hautfarbe ist immer noch allgegenwärtig.

Und so verwandelt sich die Wut in einen Hass gegen alles und jeden. Gepaart mit seiner Klugheit entsteht so eine kleine tickende Zeitbombe, denn Allen weiß nur zu gut, wie er alle anderen auf perfide und sehr hinterhältige Weise dran bekommen kann.

Es war 1972, als Jim Thompson das, was eigentlich sein Meisterwerk werden sollte, in den Staaten veröffentlichte. Doch anders als Salingers „Der Fänger im Roggen“ mit seinem unerklärlichen Helden Holden Caulfield, der zum Sprachrohr einer ganzen Generation werden sollte, wollte man die Stimme Allen Smiths nicht wahrnehmen. Zu brutal, zu gewissenlos, zu negativ und viel zu rassistisch geriet der Roman, welcher der damaligen Gesellschaft vielleicht zu sehr den Spiegel vor die Nase hielt.

40 Jahre später – und 35 Jahre nach dem Tod des Autors – erscheint „Blind vor Wut“ erstmals in einer von Peter Torberg hervorragend erarbeiteten deutschen Übersetzung. Man spürt die Wucht, mit der dieser Roman damals das Establishment niederdrücken wollte, noch heute.

„Blind vor Wut“ ist sicherlich kein Buch, das zur „Nebenher“-Lektüre geeignet ist. Vielleicht auch nichts für zartbesaitete Leser, denn es ist erschreckend, mit welcher Verachtung der Protagonist auf sein Leben blickt. Wer sich daran heranwagt, wird aber mit einem der wichtigsten Bücher des vergangenen Jahrhunderts belohnt.

Wie schön, dass man dies nun endlich erkannt hat.
Text: Dominik Roth

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Titel:
Blind vor Wut: Roman

ISBN-13:
9783453676060

Autor:
Jim Thompson

Verlag:
Heyne Verlag

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