Chuzpe und Humor
Books | Posted 11/01/2013 | Belletristik, Orell Füssli | Keine Kommentare »Der Holocaust prägt die jüdische Literatur noch immer. Mehrere Neuerscheinungen zeigen, dass dies eine packende, ja vergnügliche Lektüre keineswegs ausschliesst…
Text: Markus Ganz Foto: Bettina Strauss
Was in Lily Bretts Roman «Lola Bensky» belanglos beginnt, entwickelt bald eine überraschende Tiefe. Die titelgebende Protagonistin ist eine noch nicht 20-jährige Australierin, die in den wilden Sixties als Reporterin für ein Rockmagazin Stars interviewt. In England und später in den USA trifft sie viele Musiker dieser Zeit, die noch heute klingende Namen haben – auch wenn viele davon, wie Janis Joplin und Jim Morrison, längst tot sind. Lola Bensky hat ein Flair, mit naiven Fragen die Stars aus der Reserve zu locken und in tiefschürfende Diskussionen zu verwickeln. Denn die unkonventionelle Frau ist weder ein Fan und schon gar kein Groupie dieser Stars, sie interessiert sich vielmehr für Menschen aus einer ihr fremden Welt. Sie habe nicht einmal gewusst, dass man auf Sex Appetit haben könne, erwähnt sie einmal, als Jimi Hendrix sie zu sich einlädt. Sie lehnt ab und fachsimpelt mit ihm lieber über den fachgerechten Einsatz von Lockenwicklern, so wie sie sich mit Mick Jagger über gesunde Ernährung unterhält. Dass daraus plötzlich ernste Gespräche entstehen, erschreckt sie manchmal selbst, da es meist unbewusst geschieht und ihrer Meinung nach nicht im Interesse ihrer Leserschaft sein kann.
Ernste Stars
So sollte Lola Bensky den Rolling Stone Mick Jagger eigentlich über sein Verhältnis zu Keith Richards ausfragen. Doch daraus wird ein weit ausschweifendes, geradezu philosophisches Gespräch, das im Buch denn auch viel Platz einnimmt. Als sie ihn fragt, ob er verdorben sei, meint sie nicht die sexuellen Eskapaden eines Rockstars, sondern denkt an Gräueltaten der Gestapo. Im Zentrum des Interviews stehen plötzlich die Erfahrungen ihrer Eltern im KZ Auschwitz und Fragen etwa über die Bedingungen, die Moral erst möglich machen. Es reiche nicht zu überleben, soll ihre Mutter immer wieder gesagt haben, man müsse als Mensch überleben. Später erzählt Mick Jagger dann doch noch, wie sich Keith Richards und er in der Grundschule angefreundet hätten. Das Verhältnis sei eng, aber sie seien keine engen Freunde.
Lily Brett zeigt in «Lola Bensky» nicht nur überraschend persönliche Seiten von Stars, sondern fängt auch die gesellschaftliche Aufbruchstimmung der damaligen Zeit schön ein. In der Detailtreue offenbart sich der autobiografische Hintergrund dieses Romans. Die 66-jährige australisch-amerikanische Schriftstellerin, die mit «Einfach so» (1998) international bekannt und mit «Zu viele Männer» (2002) berühmt wurde, kehrt in diesem Roman in ihre eigene Vergangenheit zurück. Wie die Protagonistin wurde sie kurz nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs in einem deutschen Lager für Vertriebene geboren. Ihre Eltern hatten im Ghetto von Łódz ́ geheiratet, waren im KZ Auschwitz getrennt worden und hatten sich erst ein halbes Jahr später wieder gefunden. 1948 wanderte Lily Brett mit ihrer Familie nach Australien aus, wo sie als 18-Jährige die beschriebene Karriere als Rockjournalistin begann.
Diäten und Humor
Im Roman geht Lily Brett nur kurz darauf ein, wie das Leben ihrer Protagonistin nach 30 verlaufen ist. Sie heiratete einen «Mr. Ex-Rockstar» und später einen «Mr. Somebody Else», wie sie mit trockenem Humor erzählt. Und blickte als 63-jährige betroffen auf die «endlose Liste der Toten» zurück: jene der von ihr einst interviewten
Musiker und jene ihrer im Holocaust umgekommenen Verwandten. Immer wieder ein Thema ist die Religion. Lola Bensky sagt einmal, ihre Eltern seien «wütend auf Gott, auf die Deutschen nicht wirklich». Und doch bestanden die Eltern darauf, dass Gott nicht existieren könne, wenn man den Holocaust erlebt habe. Allgegenwärtig in diesem über weite Strecken amüsanten Buchs ist, dass Lola Bensky dick ist, wie sie selbst nüchtern feststellt. Sie unternimmt deshalb «jede Anstrengung, sich unterhalb des Halses nicht anzusehen». Und denkt ständig ans Essen – oder mögliche und unmögliche Diäten. Das ist oft komisch, doch bleibt einem das Lachen im Hals stecken, als man den Hintergrund erfährt. Ihre Mutter hatte im Ghetto und später noch stärker im KZ die Erfahrung gemacht, dass auch nur ein Gramm Fett am Körper auf eine Kollaboration mit den Nazis hinwies.