Es heißt ja immer, Rentner hätten keine Zeit, zu sehr sind sie mit allerlei Dingen beschäftigt, die nicht aufgeschoben werden können. Im Fall von Elmore Leonard stimmt das sogar. Stolze 87 Lenze zählt der amerikanische Schriftsteller mittlerweile – und trotzdem schreibt er immer noch wie ein junger Gott…

Unvergessene Charaktere hat er in seinen Büchern erschaffen – einer davon ist der US-Marshall Raylan Givens. 1993 tauchte er als Nebenfigur in „Jede Wette“ auf, ehe er zwei Jahre später mit „Volles Risiko“ in seinem ersten Roman den Hauptdarstellerbonus bekam, um sofort zum Liebling unter den Leonard-Jüngern zu avancieren.

Und warum auch nicht? Raylan Givens ist einfach eine coole Sau – stets einen Cowboyhut tragend, die Hand schnell an der Waffe, mit einem ausgeprägten Gerechtigkeitssinn (wobei das Wort „Gerechtigkeit“ sich sehr an seinen eigenen Maßstäben orientiert). Einer, der dahin geht, wo es wehtut, der die eigene Backe hinhält, selbst, wenn er weiß, dass er Schmerzen riskiert. Und trotzdem ein unglaubliches Charisma besitzt.

In den Staaten wurde diese Figur Protagonist einer eigenen TV-Serie – „Justified“ geht gerade in die vierte Staffel. Dass Raylan Givens bei den Leuten immer noch so gut ankommt, hat Elmore Leonard nun zu einem weiteren Roman mit ihm inspiriert – der Titel sagt mit „Raylan“ schlicht und ergreifend alles.

Und es ist haarsträubend, was sich in der Geschichte ereignet: einem Dealer wird eine unfreiwillige Nierenentnahme zuteil – er kann sich das Organ allerdings für einen nicht gerade kostengünstigen Betrag zurückkaufen. Überhaupt scheint dieser Modus Operandi im wüsten Kentucky in letzter Zeit sehr zugenommen zu haben. Das ist aber nicht die einzige Sache, mit der sich der Marshall auseinandersetzen muss: ein Minenarbeiter wurde ermordet, außerdem gab es einen Bankraub, der dringend seiner Aufklärung bedarf. Ordentlich viel zu tun also, und diesmal kommt der Punkt, an dem es selbst Raylan Givens an die Nieren geht…

Nein, hier schreibt kein verbitterter Autor sein Alterswerk, um sich dann zurückzuziehen – „Raylan“ ist ein ausgesprochen frischer Roman mit klugen Einfällen, die man einem 87jährigen eigentlich nicht zutrauen würde, würde dieser Jemand nicht Elmore Leonard heißen. Dass seine Geschichten immer noch einen ordentlichen Coolness-Faktor in sich tragen, merkt man auch an der Verehrung, die ihm aus Hollywood zuteil wird. Tarantinos „Jackie Brown“ wurde ebenso nach einem Buch des Autors gedreht wie „Schnappt Shorty“ und „Out of sight“. Und in Connecticut laufen gerade die Dreharbeiten für eine weitere Filmadaption mit den Hollywoodstars John Hawkes und Jennifer Aniston.

Hoffen wir, dass wir noch so einiges von diesem Meister der Krimi- und Thrillerliteratur lesen werden. So manch ein junger Möchtegernschreiber wird sich nach der Lektüre sicher fragen: „Verdammt… warum ist MIR das nicht eingefallen?“.
Text: Dominik Roth