Abserviert
admin | Posted 22/05/2013 | Krimi | Keine Kommentare »Manchmal ist die Geschichte hinter einem Roman beinahe genauso spannend wie das Buch selbst. Im Falle von „Abserviert“ könnte daraus sogar ein aufregender Krimi entstehen – wenn James M. Cains Roman nicht schon so gnadenlos gut wäre…
Es gibt nicht wenige, die sich nach der Veröffentlichung von „Abserviert“ nicht am Riemen reißen konnten. Von einer „literarischen Sensation“ sprach man, von einem „Ereignis“. Tatsächlich haben wir es der unglaublichen Fleißarbeit des amerikanischen Lektors Charles Ardai zu verdanken, dass sich die weltweite Leserschaft an „Abserviert“ ergötzen darf.
Ardai ist so etwas wie ein kleiner „Noir-Nerd“. In den Staaten hat er die überaus beliebte „Hard Case Crime“-Reihe gestartet: Klassiker und neue Romane der bekanntesten Vertreter des „Hardboiled“-Genres wie Ed McBain, Mickey Spillane und Ken Bruen werden im Monatsrhythmus verlegt, alle mit einem typischen Cover im „Pulp“-Stil. Was in Nordamerika überaus erfolgreich ist, hatte hierzulande im Rotbuch Verlag leider nur eine kurze Lebensdauer – aber das ist eine andere Geschichte.
Viel interessanter ist Ardais Erzählung, wie er die vergangenen neun Jahre damit verbracht hat, aus den unterschiedlichsten Quellen diesen drei Jahrzehnte lang verschollenen Roman zusammenzusetzen. Das alles erfährt der Leser im überaus unterhaltsamen Nachwort. Kommen wir nun aber zu der eigentlichen Geschichte – denn darin geht es richtig zur Sache.
Joan Medford ist das, was man in den 50ern als „Rasseweib“ bezeichnet hätte. Mit ihrer umwerfenden Figur betört die junge Dame – soeben Witwe geworden, ihr Mann hatte einen etwas komplizierten Autounfall – als Kellnerin im recht freizügigen Kleidchen die männliche Barkundschaft. Was eine richtige „Femme fatale“ ist, schlittert in mindestens eine gefährliche Dreiecksbeziehung: Earl ist ein alter, herzkranker aber steinreicher Knacker. Sex mit ihm könnte in einen Herzanfall münden, und eigentlich ist die Kohle ja auch viel interessanter. Ohnehin hat sie ihr Herz eigentlich an Tom verloren – jung, gutaussehend, aber bettelarm wie eine Kirchenmaus. Spannend wird es, wenn Frau auf den Gedanken kommt, die eine Situation mit der anderen zu verknüpfen – im Versuch, aus allen Gegebenheiten das Beste herauszuziehen. Wetten, dass es nicht lange bei dem ersten, mit dem Auto verunglückten Ehemann bleibt?
Für viele ist James M. Cain so etwas wie der „Pate des Noir-Genres“. Besonders zwei Romane begründen seinen Ruhm: „Wenn der Postmann zweimal klingelt“ und „Der Hass kann nicht schlafen“ gelten mittlerweile zurecht als Klassiker. Zu seinen Lebzeiten von der Kritik verrissen, hat in den letzten Jahrzehnten ein Umdenken bezüglich seines schriftstellerischen Werkes stattgefunden. Spätestens mit „Abserviert“ werden auch die letzten Kritiker verstummen, wirkt der Roman trotz seiner Jahrzehnte, die er auf dem Buckel hat, ungemein frisch. Eine lakonische Erzählweise, wie es nur die „alten Meister“ des Noir-Romans beherrschten, eine spannende Story mit unerwarteten Wendungen, dazu ein absolut überraschendes, trotzdem überzeugendes Ende. Und vielleicht haben die Kritiker in ihren Superlativen recht: „Abserviert“ ist große Literatur, wie es sie heutzutage im Krimibereich leider nur noch selten gibt. Für die Freunde des Genres ein absolutes Muss!
Text: Dominik Roth