Kleider machen Leute
Petra Bohm | Posted 28/05/2013 | Belletristik | Keine Kommentare »Autorin Emma Donoghue ist bei uns bekannt für ihren grossartigen Roman RAUM. “Das rote Band” erschien viel früher, bereits im Jahr 2000 im Original, wurde aber erst jetzt ins Deutsche übersetzt. Ein ganz anderes Thema, eine andere Zeit, aber nicht minder lesenswert…
Für dieses Buch hat sich die Autorin vom Schicksal einer realen historischen Figur inspirieren lassen. Das Mädchen Mary Saunders wurde 1748 in ärmlichen Verhältnissen in England geboren und, nachdem sie als Dienstmagd ihre Herrin mit einem Hackmesser tötete, in ihrem siebzehnten Lebensjahr 1764 in Monmouth (Wales) erhängt.
Schon im Prolog des Romans, der sich fiktiv mit dem (undokumentierten) Leben des jungen Mädchens beschäftigt, erfährt der Leser von deren Verurteilung und damit dem potentiellen Ende der Geschichte, verfolgt jedoch trotzdem Seite für Seite Marys Schicksal mit wachsender Spannung, so detailreich, bildhaft und realistisch wirken Donoghues Schilderungen von Marys Leben im London des Achtzehnten Jahrhunderts.
Es handelt sich nicht um einen historischen Abenteuerroman im klassischen Sinne, sondern im Gegenteil um eine im Grunde recht emotionslose und distanzierte Schilderung des Lebens der Frauen am Rande der Gesellschaft in diesem Zeitalter, wirkt dadurch jedoch umso fesselnder.
Mary wächst in einer 2-Zimmer Kellerwohnung in London bei ihrer Mutter und ihrem Stiefvater auf. Die Verhältnisse sind mehr als bescheiden, aber auf Wunsch ihres verstorbenen Vaters darf sie bis zu ihrem dreizehnten Lebensjahr die Schule besuchen – höchst ungewöhnlich für diese Zeit. Das kluge Mädchen langweilt sich in der Schule, will auf keinen Fall wie ihre Mutter als ärmliche Stücklohn-Näherin enden, hat aber auch keinen Gegenentwurf für ihr Leben, lässt sich treiben. Ihre alltäglichen Wünsche sind eher banal, ein leuchtend rotes Satinband für Kleid oder Haare ist ihr größter Traum. Dessen Erfüllung liegt zu greifen nah, als ein Strassenhändler ihr dieses als Tauschgeschäft für einen Kuss anbietet. Doch er vergewaltigt die Vierzehnjährige, sie wird schwanger und von ihrer Mutter prompt vor die Tür gesetzt. Eine Strassenhure nimmt sich des Mädchens an und Mary lernt schnell, wie sie ihren Körper verkaufen kann, hat keine wirklichen Skrupel dabei, fühlt sich im Gegenteil endlich frei. Frei, sich schöne Kleider zu kaufen. Schnell merkt sie, dass nicht hinter jedem feinen Kleid auch eine edle Dame steckt: Kleider machen Leute!
Als Mary schwer krank wird, kann sie sich eine Platz in einem Hospital für “gefallene Mädchen” erschwindeln. Doch dann muss sie London schnellstmöglich verlassen, kehrt nach Monmouth, der Heimat ihrer Eltern zurück, nimmt eine Stelle als Hausmädchen an – wird, was sie nie sein wollte und alles scheint ein gutes Ende zu nehmen. Zunächst…
Fesselnd – auch für Nicht-Fans des Genres!
»Farbenfroh, wild und unwiderstehlich. Donoghue malt ein beseeltes Bild – fantastisch.« The New York Times Book Review