Bretonische Brandung

admin | Posted 12/06/2013 | Krimi | Keine Kommentare »

Text: Dominik Roth
Was lässt sich nicht alles über die Bewohner der Bretagne sagen: verquer sind sie, richtige Dickschädel, die mit dem Rest Frankreichs eigentlich gar nicht so viel zu tun haben wollen. Das beruht natürlich auf Gegenseitigkeit. Das Bild des plumpen Bretonen ist vielen Franzosen im Kopf hängen geblieben. Und so labt man sich auf beiden Seiten weiter an den Animositäten, die durchaus historisch gewachsen sind. Interessant ist zum Beispiel die Tatsache, dass bretonische Soldaten im Zweiten Weltkrieg gerne als Kanonenfutter herhalten mussten. Keine andere Region musste so viele ihrer Söhne im Krieg beerdigen wie die Bretagne.

Und heute? Da sind die Einwohner trotz der “populistischen Unterdrückung aus Paris”, wie sie es nennen, stolz auf ihre keltischen Wurzeln und deren Kultur. Die bretonische Sprache wird in immer mehr Kindergärten gelehrt – und die einheimische Küche erst! Der wahre Gourmet schätzt die Speisen der Küstenregionen ausserordentlich, nicht wenige Frankreich-Liebhaber sind der Meinung, dass das echte „Savoir Vivre“ nur hier zelebriert werden kann.

So. Eine schöne Einleitung. Nur, was hat das jetzt alles mit der Literatur zu tun? Okay, bevor wir zu sehr in den Reisebuchjargon verfallen, kommen wir auf das zu sprechen, was dieser Region, deren Bewohner sich zwischen eigensinnigem Stolz und der Suche nach Anerkennung bewegen, eigentlich gefehlt hat. Richtig: ein belletristischer Ermittler bizarrer Mordfälle.

Kommissar Dupin heisst diese in die Bretagne zwangsversetzte Spürnase, die mit seinen Spleens genau den richtigen Ort gefunden hat. Pinguine liebt er über alles, seine Kaffeezufuhr ist so hoch, dass in seinen Adern wahrscheinlich pures Koffein fliesst. Nichts lässt einem solchen Menschen die Laune mehr verderben, als die Nachricht, dass drei Tote an den Strand der Glénan-Inseln angespült wurden. Zuerst ist man ein bisschen ratlos – ein Bootsunfall scheint die wahrscheinlichste Ursache für das Drama zu sein. Wenn nicht einer der Toten ein sehr zwielichtiger Geselle wäre, mit allerlei Dreck am Stecken und ganz vielen heissen Eisen im Feuer, und ein anderer ein selbstherrlicher, narzisstisch veranlagter Segler mit mehr Feind- als Freundschaftskerben am Gürtel. Ausgerechnet ein solcher Profi soll den Wellengang überschätzt haben? Und wie kommt es ausgerechnet zu dieser Personenkonstellation, wobei es erst mal völlig unklar ist, wer Leiche Numero drei überhaupt ist, bzw. war?

Fragen über Fragen, die sich unser Protagonist stellt – klar, solche Menschen neigen dazu, schlaflose Nächte über diese Puzzleteile zu grübeln, während sich unsereins unbekümmert in den Schlaf wiegen lässt. Ist ja aber auch gut so, sonst wäre die Geschichte ziemlich langweilig. Dass sie das nicht ist, verdankt „Bretonische Brandung“ vor allem seinen skurrilen Figuren, die Kommissar Dupin während den Ermittlungen über den Weg laufen. Jeder Teaser an dieser Stelle würde das „Spoiler-Alarm“ Lämpchen aber zu sehr aufblinken lassen – schliesslich zählt ja immer der erste Eindruck, und den sollten die Leser durchaus im Buche finden.

Schwenken wir doch lieber auch noch einmal zu dem, was schon Kommissar Dupins literarisches Debut, „Bretonische Verhältnisse“, anno 2012 zum Bestseller gemacht hat: die lyrische Aufarbeitung der mentalen Gegensätze der Bewohner dieses Landstrichs (ein schöner Satz, nicht wahr?). Dort, wo die Natur in Frankreich am schönsten ist (und vielmehr an Wales oder Schottland als an den Rest Frankreichs erinnert) werden wunderliche, garstige Verbrechen verübt. Wo sich die Romanfiguren mit den schwer auszusprechenden bretonischen Namen hingebungsvoll den köstlichen Speisen widmen, gibt es abstossende Szenen, die das Brutale, das Hässliche in der menschlichen Natur zum Vorschein bringen.

Keine Frage, die Region hat genau den Kommissar gefunden, den sie gesucht hat. Ein Verdienst von Jean-Luc Bannalec – wer auch immer sich hinter diesem Namen verstecken mag. Der geneigte Internetnutzer wird sicherlich Freude an den grossen Diskussionen rund um die Identität des Autors haben. Aber egal, ob sich da nun wirklich ein Halb-Einheimischer oder ein deutscher Verlagsinhaber austobt – die Bücher haben schon jetzt eine grosse Fangemeinde gefunden. Zurecht, wie wir finden. Denn Bannalecs Bücher besitzen alles, was eine gute Urlaubslektüre braucht: Spannung, das ein oder andere amüsante Anekdötchen, tolle Figuren und das Bewirken des Gefühls, nicht mehr aus den Ferien zurückkehren zu wollen. Und sei es „nur“ aus Balkonien.

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Titel:
Bretonische Brandung: Kommissar Dupins zweiter Fall

ISBN-13:
9783462044966

Autor:
Jean-Luc Bannalec

Verlag:
Kiepenheuer&Witsch

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