Es muss nicht immer “Shades” sein…

Books | Posted 08/08/2013 | Belletristik, Orell Füssli | Keine Kommentare »

Zeichnete man einen Stammbaum der Unterwerfungsliteratur, wäre «Venus im Pelz» wohl die Grossmutter von «Shades of Grey» – und vielleicht gar die Stammmutter des gesamten Genres…

Text: Marius Leutenegger
Das schmale Bändchen erschien 1870 und wurde von Leopold von Sacher-Masoch verfasst. Der österreichische Autor ist als Namensgeber in die Geschichte eingegangen – nicht der süssen Sachertorte, sondern des viel pikanteren Masochismus’. Zu Lebzeiten war Sacher-Masoch ein international gefeierter Autor und hoch geachteter Universitätsprofessor; ihn überlebt hat aber eigentlich nur «Venus im Pelz». Darin erzählt er die Geschichte von Severin, der sich leidenschaftlich in die junge Witwe Wanda verliebt. Sie kann sich nicht recht dazu durchringen, ihn zu heiraten, denn sie weiss, wie unbeständig Gefühle sind. Severin schlägt Wanda vor, ihn als Sklaven zu akzeptieren, den sie jederzeit nach Belieben demütigen darf – denn er meint, dass seine Liebe zu ihr dann immer grösser werde, frei nach dem Grundsatz: Was man nicht wirklich besitzen kann, begehrt man umso stärker. Wanda zögert; sie weiss, ein solches Arrangement könnte ihre schlimmsten, bislang unterdrückten Eigenschaften wecken. Schliesslich aber willigt sie ein. Sie quält ihren Sklaven fortan psychisch und physisch, gibt sich ihm aber auch liebevoll hin. Dass Wanda andere Liebhaber hat, treibt Severin schier in den Selbstmord, er kann sich von seiner Herrin aber nicht lösen – bis sie bewusst zu weit geht und ihn von einem ihrer Liebhaber auspeitschen lässt. Severin ist von seiner Obsession geheilt und nimmt wieder sein früheres Leben an.

Interessant ist, dass «Venus im Pelz» nachträglich fast zur Autobiographie von Sacher-Masoch wurde: 1873 heiratete der Autor eine junge Angelika, die sich wegen des Buchs in Wanda umbenannte. Mit ihr schloss Sacher-Masoch einen Sklavenvertrag ab, und wie die fiktive Wanda hielt es auch die echte am Ende nicht neben ihrem Sklaven aus. Doch zurück zu «Venus im Pelz». Das Buch enthält bereits viele Genre-typische Ingredienzien. Uniformen, Peitschen, Stiefel, Pelze und nächtliche Aussschweifungen kommen ebenso vor wie das Hin und Her zwischen Erniedrigung und Zärtlichkeit. Doch das Buch erschien in einer Zeit, in der es Zensur gab, und es beschränkt sich daher auf Andeutungen. Wer «gewisse Stellen» sucht, kann lange blättern – es gibt sie kaum, erregend ist allenfalls der Unterton der Geschichte. Die Dialoge des Buchs, das derzeit von Roman Polanski verfilmt wird, sind feinsinnig; Sacher-Masoch bedient sich gern bei der Hochkultur, um die Vorliebe seines Helden – und damit auch seine eigene – zu begründen, er zitiert fortlaufend Goethe oder antike Autoren. «Venus im Pelz» ist daher eher Literatur für den feinsinnigen Kenner als Pornografie, die bekanntlich nur auf eines abzielt: die Lesenden sexuell zu erregen.

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Titel:
Venus im Pelz

ISBN-13:
9783458321699

Autor:
Leopold von Sacher-Masoch

Verlag:
Insel Tb.

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