HONIG von Ian Mc Ewan
admin | Posted 29/10/2013 | Belletristik | Keine Kommentare »Der Staat, der Staat, der hat immer Recht! Und weil seine lieben Schäfchen erst gar nicht auf den Gedanken kommen sollen, diese Tatsache in Frage zu stellen, greift man „dort oben“ gerne ganz tief in die manipulierende Trickkiste. Das alles lernt man in Ian McEwans neuem Roman “Honig”. Lesenswert, denn selten wurde so bauernschlau ein grosses Problem unserer Neuzeit hintergründig verpackt…
Text: Dominik Roth
Eigentlich liest sich „Honig“ wie ein zuckersüsses, aber doch beliebiges Unterhaltungsbüchlein. Serena Frome ist ein ebenso zuckersüsses Wesen: ein nicht so ganz gelungener Abschluss des Mathematikstudiums steht ihrer Begeisterung für Literatur gegenüber – und die Liebe zu den Männern. Deren Bekanntschaft macht sie gerne und ausführlich in den Betten dieser Welt, und so trifft sie auf ein hohes Tier des britischen Geheimdienstes MI5. Der hat nichts Besseres zu tun, als sein Betthäschen in der „Organisation“ unterzubringen.
Der etwas drögen Büroarbeit folgt ein ganz spezieller Auftrag: Serena Frome soll mit ihrer Leidenschaft für das geschriebene Wort und ihrem einnehmenden Wesen den jungen, aufstrebenden Schriftsteller Tom Haley einwickeln. Irgend ein MI5-Oberer denkt, der Mann vertritt die richtigen Werte, was in den 70er Jahren des britischen Reiches, in dem die Geschichte angesiedelt ist, vor allem heisst: er ist gegen den Kommunismus und mag das westliche Gedankengut. Ein bisschen finanzielle Zuwendung – natürlich verschleiert, man geht als Geheimdienst ja nicht persönlich hausieren – schadet ja nicht, wenn man dafür den Kampf gegen die „Rote Bedrohung“ auch auf kultureller Ebene – sprich: in der Literatur – ausfechten kann. Das Projekt „Honig“ ist geboren.
Tja, und was macht unsere Protagonistin statt sich in den „guten Dienst der Sache“ zu stellen? Sie verliebt sich in den Schriftsteller, den sie eigentlich ein bisschen leiten soll. Na toll.
Von da an nimmt die ganze Sache auch gehörig an Fahrt auf – bis zu diesem Punkt findet sich die geneigte Leserschaft allerdings eher in einem Frauenroman. Was danach kommt, ist aber McEwan’sches Genie. Eine greifbare Schilderung der damaligen Zeit (Kalter Krieg, die Bedrohung der Allgemeinheit durch die IRA, randalierende Gewerkschaftsorgane), kein überflüssiger Schnick-Schnack in Bezug auf das Innenleben der Handelnden. Statt dessen arbeitet sich der Autor immer treibender hin zu seinem grossen Finale, das – ja, natürlich – mit einer äusserst überraschenden Pointe daherkommt.
Was steckt jetzt aber wirklich hinter der romantischen Story der beiden Liebenden – der „Spionin aus Zufall“ und dem angehenden Autor? Tatsache ist, dass die Geschichte um die staatlich gelenkte Manipulation der öffentlichen Meinung ein reales Vorbild hat: 1966 wurde nachgewiesen, dass die britische Literaturzeitschrift „Encounter“ verdeckt durch den „Kongress für kulturelle Freiheit“ von der CIA finanziell unterstützt wurde. Dieses Organ hatte sich damals gegründet, um gezielt gegen „den Feind im Osten“ zu kämpfen – eben auf intellektueller Ebene. Hochrangige Schriftsteller sollten mit ihrer prowestlichen Einstellung auf die Öffentlichkeit einwirken.
Das sorgte natürlich für einen grossen Skandal. Trotzdem scheint sich nicht viel getan zu haben seitdem – man denke nur an die Parteizugehörigkeiten der Mitglieder des deutschen Fernsehrates und dessen Verwaltungsapparates. Dass die Kritik dieser Praxis nur sachte in Ian McEwans „Honig“ anklingt, mag auch dem Unterhaltungsgedanken an die Leserschaft geschuldet sein. Die grosse Moralkeule bleibt also im Sack – Gott sei Dank! An dieser hätte sich Ian McEwan vielleicht auch verhoben. So ist „Honig“ immer noch überdurchschnittliche Literatur, die ihren besonderen Charme ausspielt, wenn man es versteht, zwischen den Zeilen zu lesen.